Es ist geschafft: Mitte Oktober 2021 konnten sich die Verhandlungsführer der Gewerkschaft ver.di und die Vertreter der Vivantes-Kliniken auf die Eckpunkte für einen Tarifvertrag einigen. Mit dem Klinikkonzern Charité war man zuvor schon Anfang Oktober zu einer Einigung gekommen. Der Streik in den Berliner Kliniken hatte am 23. August dieses Jahres begonnen.
Der Streik war lange angekündigt
Auslöser für den Streik waren die miserablen Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in den Charité- und Vivantes-Kliniken. Schon langen hatten Pflegende über Missstände geklagt: Nicht eingehaltene Personalschlüssel, Zehn-Stunden-Schichten ohne Pause und überforderte Berufseinsteiger seien die Regel, hatten Betroffene im September in anonymisierten Protokollen an Berliner Politiker berichtet.
Dem Streik ging ein 100-Tage-Ultimatum voraus: Bereits am 12. Mai – dem internationalen Tag der Pflege – hatten Pflegekräfte vor dem Roten Rathaus in Berlin demonstriert. Bei der Kundgebung hatte die Gewerkschaft ver.di eine Frist von 100 Tagen genannt, in der der geforderte Entlastungstarifvertrag unterzeichnet werden sollte. Gleichzeitig wurde ein dreitägiger Warnstreik angekündigt, falls den Forderungen nicht nachgegeben werde. Nachdem das ergebnislos blieb, hatte die Gewerkschaft im August den Streik ausgerufen.
Was haben die Streikenden erreicht?
Der Entlastungstarifvertrag ist inzwischen Realität. Sowohl für die Angestellten der Charité als auch für das Personal der Vivantes-Kliniken konnten Eckpunkte definiert werden. Demnach sollen Mindestpersonalgrenzen für die Stationen festgelegt werden. Bei Unterschreitung können Pflegekräfte sogenannte Belastungspunkte sammeln, die dann durch Freizeit ausgeglichen werden.
Auch das Thema Ausbildung steht im Fokus: Es werden Mindestzeiten definiert, in der die Auszubildenden Praxisanleitungen erhalten. Zusätzlich erhalten alle Auszubildenden ein Notebook zur dienstlichen und privaten Nutzung, das sie nach dem Ende der Ausbildung behalten dürfen. Außerdem sollen alle Auszubildenden bereits am Ende des 2. Ausbildungsjahres ein konkretes Übernahmeangebot erhalten.
Der neue Vertrag soll zum 1. Januar 2022 in Kraft treten und zunächst für drei Jahre gelten. Diese Frist wollen die Kliniken „für eine fortlaufende, wissenschaftliche Evaluation zur konkreten Verbesserung der Arbeitsbedingungen nutzen,“ heißt es in einer Stellungnahme von Vivantes.
Welche Punkte sind noch ungeklärt?
Nach wie vor ist aber die Situation der Beschäftigten in den Vivantes-Tochterunternehmen nicht geklärt. Diese stellen das Reinigungs‑, Transport- und Küchenpersonal. Seit Beginn des Streiks fordern sie eine Angleichung der Tarife an den öffentlichen Dienst und damit höhere Löhne.
Für die fast 1250 Beschäftigten geht es laut ver.di um bis zu 800 Euro mehr Bruttogehalt im Monat. Die Verhandlungen wurden am 14. Oktober wieder aufgenommen. Der Brandenburger Ex-Ministerpräsident und SPD-Politiker Matthias Platzeck moderiert die Gespräche.
Auch in anderen Kliniken ist laut ver.di mit einer „Streikwelle“ zu rechnen: In den Brandenburger Kliniken des Hamburger Asklepios-Konzerns ging gerade ein sechstägigier Warnstreik zu Ende. Ziel des Streiks war ein Anpassung der Brandenburger Gehälter an die der Hamburger Klinikstandorte.
Kommentar: Wie sehr wird sich die Situation der Pflegenden tatsächlich verbessern?
Unzweifelhaft positiv ist die Aufmerksamkeit, die der Streik gebracht hat. Gerade der Berliner Tagesspiegel und die taz haben viel berichtet. Auch in der überregionalen Presse fand das Thema ein großes Echo, der Freitag verwendete bewusst das Wort „heroisch“ für die Berliner Krankenhausbewegung. Auf jeden Fall hat der Streik die Verzweiflung der Betroffenen gezeigt, die sich trotz des immer wieder geäußerten Vorwurfs, das Wohl der Patienten durch den Streik zu vernachlässigen, nicht von ihrem Ziel abbringen ließen.
Inwieweit der neue Tarifvertrag die Situation der Pflegekräfte in den Berliner Charité- und Vivantes-Kliniken wirklich verbessern wird, bleibt abzuwarten. Zwar ist hier die Rede von mehr Personal und Freizeitausgleich bzw. Sonderzahlungen, sollte die Besetzungsregelung nicht eingehalten werden.
Allein die Tatsache, dass es das Punktesystem für unterbesetzte Schichten überhaupt gibt, zeigt allerdings, dass beide Seiten sich der Realität bewusst sind: Es gibt zu wenige Pflegekräfte in den Kliniken. Auch bisher gab es ja Personalschlüssel – sie wurden eben nicht eingehalten. Ob also ein neuer Tarifvertrag bessere Arbeitsbedingungen bringt oder nur eine Umbenennung bestehender Probleme, wird sich zeigen.
Das letzte Wort kann nur die Politik haben. Es liegt jetzt an der neuen Bundesregierung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Pflegeberuf wieder attraktiver machen. Denn ohne Menschen, die für die Pflege brennen, wird es nicht gehen. Und es sind schon zu viele Versprechungen gemacht worden.