Bereitschaftsdienst
Urlaub ist heilig

Eine Ärztin hat im Jahr 2017 447,25 Stunden nächt­li­chen Bereit­schafts­dienst geleis­tet. Im Jahr 2018 kamen zusätz­lich nächt­li­che Bereit­schafts­dienste im Umfang von 387 Stunden hinzu. Vor Gericht klagte sie für mehr Zusatz­ur­laub.

Die Ärztin ist im Kranken­haus einer Unter­neh­mens­gruppe mit bundes­weit über 50 Kranken­häu­sern angestellt. In der Gruppe gilt für Ärztin­nen und Ärzte ein Tarif­ver­trag, nach dem sie dazu verpflich­tet sind, sich auf Anord­nung des Arbeit­ge­bers außer­halb der regel­mä­ßi­gen Arbeits­zeit an einer vom Arbeit­ge­ber bestimm­ten Stelle aufzu­hal­ten, um im Bedarfs­fall die Arbeit aufzu­neh­men (Bereit­schafts­dienst).

Bereit­schafts­dienst: Was ist zu beach­ten?

Der Bereit­schafts­dienst ist Arbeits­zeit im arbeits­schutz­recht­li­chen Sinne. Für den Bereit­schafts­dienst zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr gilt die Nacht­ar­beits­zeit. Für diese erhal­ten die Ärztin­nen und Ärzte neben dem Entgelt für die tatsäch­li­che Arbeits­leis­tung Zeitzu­schläge je Stunde (15 von Hundert). Zur Berech­nung des Entgelts wird die Zeit des Bereit­schafts­diens­tes einschließ­lich der gelei­se­ten Arbeit jeweils in zwei Stufen als Arbeits­zeit gewer­tet. Ausschlag­ge­bend hierfür sind die Arbeits­leis­tun­gen, die während des Bereit­schafts­diens­tes erfah­rungs­ge­mäß durch­schnitt­lich anfal­len (0 von Hundert bis 40 von Hundert = 70 von Hundert / mehr als 40 von Hundert bis 49 von Hundert = 80 von Hundert).

Geregelt ist ferner, dass das Bereit­schafts­dienst­ent­gelt im Verhält­nis 1:1 in Freizeit abgegol­ten werden kann und jede Stunde des Bereit­schafts­diens­tes mit Zeitzu­schlä­gen vergü­tet wird (in den Nachstun­den zwischen 20:00 Uhr und 24:00 Uhr und 4:00 Uhr und 6:00 Uhr jeweils 25 von Hundert; in den Nacht­stun­den zwischen 0:00 Uhr und 4:00 Uhr 40 von Hundert; an Sonn- und Feier­ta­gen jeweils 50 von Hundert). Sollten Zuschläge zusam­men­tref­fen werden diese kumula­tiv gezahlt.

Für Nacht­ar­beits­zei­ten erhal­ten Ärztin­nen und Ärzte somit:

  • bei mindes­tens 150 Nacht­ar­beits­stun­den 1 Arbeits­tag Zusatz­ur­laub
  • bei 300 Nacht­ar­beits­stun­den 2 Arbeits­tage Zusatz­ur­laub
  • bei 450 Nacht­ar­beits­stun­den 3 Arbeits­tage Zusatz­ur­laub
  • bei 600 Nacht­ar­beits­stun­den 4 Arbeits­tage Zusatz­ur­laub

Gericht entschei­det für mehr Zusatz­ur­laub

Da die klagende Ärztin die Bereit­schafts­dienst­stun­den jeweils in der Zeit zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr geleis­tet hat, entschied das Arbeits­ge­richt Köln, dass der Kläge­rin im Hinblick auf die Bereit­schaft während der Nacht­ar­beits­zei­ten jeweils zwei Zusatz­ur­laubs­tage für die Jahre 2017 und 2018 zuste­hen. Das beklagte Kranken­haus legte hierge­gen Berufung ein, die aller­dings nicht erfolg­reich war.

Die Begrün­dung der Entschei­dung

Nach § 25 Absatz 5 TV-Ärzte S ist das Kranken­haus dazu verpflich­tet, der Ärztin die genann­ten Zusatz­ur­laubs­tage zu gewäh­ren. Für das Jahr 2017 gilt der Änderungs­ta­rif­ver­trag Nummer 5 und für das Jahr 2018 der Änderungs­ta­rif­ver­trag Nummer 6. Demnach hat die Ärztin für beide Jahre Anspruch auf jeweils zwei Zusatz­ur­laubs­tage, weil sie pro Jahr mehr als 300 Nacht­ar­beits­stun­den geleis­tet hat.

In § 25 Absatz 5 TV-Ärzte S ist geregelt, dass auch Bereit­schafts­dienst­stun­den im Sinne der tarif­ver­trag­li­chen Vorschrif­ten als Nacht­ar­beits­stun­den gewer­tet werden. Diese tarif­li­che Regelung löst auch den Anspruch auf Zusatz­ur­laub bei einer bestimm­ten Anzahl von Nacht­ar­beits­stun­den aus. Nacht­ar­beit wird nach § 7 Absatz 8 TV-Ärzte S als die Arbeit zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr definiert.

Tarif­li­che Ungenau­ig­kei­ten: Zwei mögli­che Inter­pre­ta­tio­nen

Im Gesamt­zu­sam­men­hang des Tarifs wird zwischen der Nacht­ar­beit und dem Bereit­schafts­dienst als Sonder­form der Arbeit unter­chie­den. Diese Diffe­ren­zie­rung wird aller­dings nicht bei der Regelung für die Zusatz­ur­laubs­tage aufge­grif­fen. Das kann bedeu­ten, dass nur die in der regel­mä­ßi­gen Arbeits­zeit geleis­tete Nacht­ar­beit den Anspruch auf Zusatz­ur­laub auslöst.

Auf der anderen Seite ist aller­dings auch denkbar, dass sämtli­che Bereit­schafts­dienst­stun­den oder zumin­dest in diesem Rahmen tatsäch­lich anfal­lende Arbeits­stun­den den Anspruch auf Zusatz­ur­laub auslö­sen können. Im Sinne der Vorschrift ist eher von der zweiten Inter­pre­ta­tion auszu­ge­hen. Somit werden also nächt­li­che Bereit­schafts­dienst­stun­den als Nacht­ar­beits­stun­den gewer­tet.

Arbeits­schutz­recht­li­cher Rahmen

Diese Erkennt­nis ist wichtig: Sie ermög­licht den tarif­li­chen Ausgleich im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG für die Belas­tung durch Nacht­ar­beit. Für die gericht­li­che Entschei­dung in diesem Fall ist also der arbeits­schutz­recht­li­che Arbeits­be­griff zugrunde zu legen. Bereit­schafts­dienst, den ein Arbeit­neh­mer in Form persön­li­cher Anwesen­heit im Betrieb des Arbeit­ge­bers leistet, ist in vollem Umfang als Arbeits­zeit anzuse­hen und in seiner gesam­ten Dauer auszu­glei­chen.

Hierbei ist es auch egal, ob der Arbeit­neh­mer in den Arbeits­stun­den tatsäch­lich auch gearbei­tet hat. Für jede Stunde des nächt­li­chen Bereit­schafts­diens­tes besteht deshalb ein gesetz­li­cher Anspruch auf einen Belas­tungs­aus­gleich, der im Streit­fall durch § 25 Absatz 5 TV-Ärzte S näher bestimmt wird.

Quelle: LAG Köln vom 5.2.2020 – 11 Sa 356/19