Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat im Juli 2017 einen niedergelassenen Arzt zu einer Schmerzensgeldstrafe von 150.000 Euro verurteilt. Der Arzt habe sich nicht an die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen mit spitzen und scharfen Gegenständen gehalten. Die Klage wurde von einer ehemaligen Auzubildenden erhoben, infolge eines Unfalls beim Probearbeiten in der Praxis, der sich im Mai 2011 ereignete.
Missachtung der Sicherheitsbestimmungen seitens des Arztes
Der beklagte Arzt und seine Helferinnen waren sich untereinander einig, die seit August 2006 vorgesehene TRBA (Technische Regelung für biologische Arbeitsstoffe) 250 nicht zu berücksichtigen. Darin heißt es, dass spitze oder scharfe medizinische Instrumente durch geeignetere Arbeitsgeräte zu ersetzen sind, um eine höhere Sicherheit zu gewähren. Dazu zählen insbesondere Sicherheitskanülen, mit der eine Nadel nach ihrer Benutzung sofort einhändig gesichert werden kann. Beim Beklagten wurden, anstelle der sicheren Kanülen, konventionelle Nadeln mit einem sogenannte Recappinggefäß zur Entsorgung verwendet.
Die am 29. Dezember 2014 erhobene Klage vor dem Arbeitsgericht Bamberg wurde abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin. Diese habe ihren Arbeitgeber gebeten, ihr solche Sicherheitskanülen zur Verfügung zu stellen, da sie in ihrer bisherigen Ausbildung lediglich mit diesen gearbeitet habe. Stattdessen erhielt sie lediglich die Anweisung, Handschuhe zu tragen.
Bei der Blutentnahme eines mit Hepatitis C erkrankten Patienten stach sie sich mit der Nadel in den Finger – mit schwerwiegenden Konsequenzen. Durch die Nadelstichverletzung steckte sie sich beim Patienten mit Hepatitis C an und erlitt als Folge der anschließenden Interferontherapie zudem rheumatoide Arthritis. Demnach leide sie unter Bewegungseinschränkungen, Gelenkschmerzen, Schwindel, Herzrasen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Ferner riefen die Symptome auch Trauer und Depressionen bei der Auzubildenden aus. Aufgrund der ihr gegen die Schmerzen verschriebenen Medikamente könne sie sich auch den Wunsch einer Schwangerschaft nicht erfüllen.
Unfallversicherung greift hier nicht
Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg und ist begründet, da der Beklagte die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zuungunsten der Klägerin missachtet habe. Auch das Haftungsprivileg des § 104 SGB VII greift nicht. Normalerweise schützt dieses den Arbeitgeber und seine Kollegen vor den Schadensersatzansprüchen eines bei einem Unfall verletzten Arbeitnehmers.
Auf dieses Privileg könne sich der Beklagte jedoch in diesem Fall nicht berufen. Dies liegt daran, dass der Beklagte laut des LAG Nürnberg den Arbeitsunfall durch sein Verhalten, also durch den Verzicht auf sichere Arbeitsmaterialien, mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt und damit billigend in Kauf genommen habe.
Einem Arbeitgeber obliegt es, dafür Sorge zu tragen, dass die zur Verfügung stehenden Arbeitsmittel den Unfallverhütungsbestimmungen entsprechen. In diesem Fall wurden in der Praxis des Beklagten immer noch die herkömmlichen Nadeln verwendet und nicht die seit 2008 vorgeschriebenen Sicherheitskanülen. Recappinggefäße waren aus Sicherheitsgründen eigentlich verboten.
Dass die Arbeitsgegenstände nicht den Sicherheitsvorkehrungen entsprechen war dem Beklagten bewusst, er nahm somit ein Verletzungsrisiko der Klägerin in Kauf. Ebenso war auch die Hepatitis C‑Erkrankung des Patienten bereits bekannt.
Zwar habe der Arzt der Klägerin nicht direkt den Auftrag zur Blutentnahme gegeben, da diese üblicherweise per Computer erfolge, jedoch kam die Klägerin in diesem Fall als einzige medizinische Fachkraft dafür in Frage. Auch dies war dem Arbeitgeber bewusst. Der Beklagte sei somit zum Schadensersatz von 150.000 Euro verpflichtet. Die gegen die Entscheidung eingeworfene Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG (Az.: 8 AZN 614/17) wurde im Dezember 2017 abgewiesen.
Wichtig: Auf eine Mitschuld der Klägerin kann sich der Beklagte nicht berufen. Führt der Arbeitnehmer aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers eine gefährliche Arbeit aus, so ist regelmäßig ein anspruchminderndes Mitverschulden des Arbeitnehmers zu verneinen.
Quelle: LAG Nürnberg vom 9. Juni 2017 – 7 Sa 231/16 = RDG 2017, S. 298–302.