Autoimmunkrankheiten kurz erklärt
Das Immunsystem besteht aus Zellen und Botenstoffen, die miteinander kommunizieren. Bestimmte Zellen bilden Antikörper gegen angreifende Erreger, so wie es auch bei der Impfung der Fall ist. Das Immunsystem arbeitet dabei im Dauerzustand und schützt den menschlichen Körper vor schweren Krankheitsverläufen.
Als Autoimmunkrankheit bezeichnet man einen Zustand, bei dem sich das Immunsystem jedoch gegen den eigenen Körper wendet und sich „gegen ihn wehrt“. Das heißt, die Immunzellen greifen sich selbst an, beziehungsweise bilden Antikörper gegen körpereigene Zellen. Es kommt zu entzündlichen Prozessen in einzelnen oder mehreren Organen des Körpers.
Rheumatologe Dr. Peer Aries erklärt: „Die Toleranz des Immunsystems ist gestört. Normalerweise hat das Immunsystem gelernt, nur gegen externe Bedrohungen wie zum Beispiel Viren oder Bakterien zu kämpfen. Die Entzündungszellen lernen normalerweise, nicht gegen den eigenen Körper zu kämpfen. Diese Toleranz ist jedoch durchbrochen, sodass die Entzündungszellen des Immunsystems eben nicht nur gegen externe Bedrohungen kämpfen, sondern gegen den eigenen Körper.“
Die Begriffe Autoimmunkrankheit und Autoimmunstörung werden zumeist synonym verwendet. Laut Prof. Dr. Kabelitz von der Deutschen Autoimmun-Stiftung könne man eine Autoimmunstörung auch als Vorstufe zur Autoimmunkrankheit betrachten, wenn sich bestimmte Zustände im Körper nachweisen lassen, diese aber noch nicht krankhaft ausgeprägt sind.
Nicht zu verwechseln sind Autoimmunstörungen mit Allergien: „Das sind im Prinzip gegenteilige Phänomene“, erklärt Prof. Dr. Kabelitz. „Sowohl Autoimmunerkrankungen als auch Allergien sind Überreaktionen des Immunsystems. Im Falle einer Autoimmunerkrankung reagiert das Immunsystem zu sehr gegen körpereigene Bestandteile. Bei einer Allergie reagiert es zu sehr gegen körperfremde Bestandteile, gegen die Allergene sozusagen. Die Mechanismen sind ähnlich, aber der Auslöser unterschiedlich.“
Dr. Aries ergänzt: Eine allergische Reaktion sei an sich eine normale Abwehrfunktion des Immunsystems. Krankhaft sei jedoch das Ausmaß der Reaktion.
Welche Autoimmunkrankheiten gibt es?
Man gehe davon aus, dass etwa 5 Prozent der Bevölkerung an Autoimmunerkrankungen leidet, so Prof. Dr. Kabelitz. Bekannt seien mittlerweile über 80 verschiedene Autoimmunerkrankungen, die mehr oder weiger verbreitet seien.
Häufig betroffen seien laut Dr. Aires beispielsweise der Darm, das Nervensystem oder die Bauchspeicheldrüse. Unabhängig vom Ort der Erkrankung würden alle Autoimmunerkrankungen ähnliche Mechanismen aufweisen, nämlich „die Ansammlung von Entzündungszellen, die zu einer Funktionsstörung des befallenen Organs führen können.“
Zu den bekanntesten Autoimmunkrankheiten gehören unter anderem:
- Rheuma
- Diabetes
- Psoriasis/Schuppenflechte
- Multiple Sklerose
- Morbus Crohn
Neben diesen Erkrankungen gebe es laut Prof. Dr. Kabelitz noch viele weitere Autoimmunkrankheiten, die jedoch häufig nur schwer zu identifizieren sind. „Es gibt viele Symptome, die, wenn man genauer hinschaut, eine Autoimmunerkrankung zugrunde legen. Es dauert eine Zeit, bis man so etwas dann auch als Autoimmunerkrankung diagnostizieren kann.“ Man bezeichne diese Zustand zwischen gesund und krank als „subklinisch“, so Dr. Aries.
Ursachen und Folgen
Es gibt verschiedene Auslöser für Autoimmunerkrankungen. Die meisten Autoimmunkrankheiten fußen nicht auf einer bestimmten, sondern auf mehreren verschiedenen Ursachen. Dazu zählen äußere Umwelteinflüsse sowie auch Infektionen und deren Folgen. „Bestimmte Autoimmunerkrankungen gab es im letzten Jahrhundert noch gar nicht“, sagt Prof. Dr. Kabelitz. Als Beispiel nennt er die chronische Darmentzündung, Morbus Crohn, die zuletzt häufiger durch die aktuelle Lebensweise der Zivilisation hervorgerufen werden würde.
Einige seltenere Autoimmunkrankheiten seien gewissermaßen auch genetisch bedingt, wobei bestimmte Gene verändert sind und daraus eine Autoimmunerkrankung folgen könne, so Dr. Aries. Ansonsten spielt die Genetik bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen lediglich eine Nebenrolle, sodass im schlimmsten Fall ein erhöhtes Risiko für Autoimmunkrankheiten aufgrund von genetischen Veranlagungen auftrete. Viele Autoimmunerkrankungen kämen nach Aussage von Prof. Dr. Kabelitz besonders bei Frauen häufiger vor, was mit den weiblichen geschlechtshormonen zusammenhänge.
In vielen Fällen bleibt es jedoch nicht bei einer Autoimmunerkrankung. Für bestimmte Krankheiten sei man nach Einschätzung von Dr. Aries anfälliger, wenn man bereits unter einer chronischen Entzündung leide. So bringt letztere beispielsweise ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko mit sich. Des Weiteren könnten auch depressive Erkrankungen von chronischen Entzündungen hervorgerufen werden. Allerdings sei es auch hier der Fall, dass die Nachwirkungen einer Autoimmunkrankheit oft erst nach ein paar Jahren auftreten und die behandelnden Ärzte daher schon frühzeitig darauf achten sollten.
Therapie
Die meisten Autoimmunerkrankungen sind nicht heilbar. Es sei nicht möglich, das Immunsystem „zurückzusetzen“, sodass es wieder normal funktionieren kann.
Autoimmunkrankheiten werden üblicherweise medikamentös behandelt. Ziel der Therapie sei bei den meisten Autoimmunkrankheiten, die Entzündung zu kontrollieren. In manchen Fällen sei es die einzige Option, „die Fehlfunktion des Organes durch die autoimmune Entzündung zu ersetzen, zum Beispiel bei der Bauchspeicheldrüse das Insulin oder bei der Schilddrüse die Schilddrüsenhormone zu ersetzen“, so Dr. Aries.
Durch bestimmte Medikamente könne man die für die Autoimmunkrankheit verantwortlichen Organismen unterdrücken oder beruhigen, so Dr. Aries. „Damit erhofft man sich zunächst eine Beruhigung der Entzündung. Eventuell könnte es nach längerer Zeit auch dazu führen, dass der Teil des Immunsystems einschläft.“ Nicht selten könne man dann sogar die Medikamenteinnahme reduzieren. Geheilt sei das Immunsystem dadurch jedoch nicht. Dr. Aries bezeichnet dieses zustand als „Remission“, einen Zustand, bei dem keine Zeichen für eine Krankheitsaktivität bestehen, die Veranlagung für die Autoimmunkrankheit jedoch weiterhin im Körper wohnt.
Bei der Kontrolle der Entzündung ist diese im Verlauf stetig zu beobachten. Je nach Ausmaß der Erkrankung sei es wichtig, die medikamentöse Therapie dementsprechend zu verstärken, zu reduzieren oder gar zu pausieren.
Zur Prävention empfiehlt Prof. Dr. Kabelitz eine gesunde Lebensweise: „Ausgewogene Ernährung, vitaminreiche Ernährung, ausgewogene körperliche Tätigkeiten. Das sind alles grundlegende Dinge, die das Immunsystem gerne mag und die helfen, das Immunsystem gut in Schuss zu halten.“ Auch durch den Verzicht auf das Rauchen oder Alkohol könne man einer autoimmunen Erkrankung vorbeugen, bzw. sie nicht noch verschlimmern.
Eine gesunde Lebensweise sei natürlich nicht in der Lage, die Autoimmunkrankheit zu heilen. Gesunde sportliche Betätigung und Ernähung seien jedoch dazu geeignet, die medikamentöse Therapie zu unterstützen, erklärt Dr. Aries.
Zu den Personen:
Prof Dr. Dietrich Kabelitz ist Vorsitzender der Deutschen Auoimmun-Stiftung. Das komplette Videointerview mit Herrn Kabelitz finden Sie hier.
Dr. Peer Aries ist Rheumatologe in Hamburg und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Die Beantwortung der Fragen erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Autoimmunerkrankter e.V. (NIK).