Schichtarbeit
Arbei­ten gegen den Biorhyth­mus: Schicht­ar­beit ist oft mit Schlaf­stö­run­gen verbun­den. Bild: Desiree Gorges

Eine wichtige Voraus­set­zung für die Schicht­ar­beit ist in § 6 Arbeits­zeit­ge­setz (ArbZG) bereits im ersten Absatz festge­schrie­ben: Die Arbeits­zeit der Nacht- und Schicht­ar­beit­neh­mer ist nach den gesicher­ten arbeits­wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen über die menschen­ge­rechte Gestal­tung der Arbeit festzu­le­gen. Doch welche arbeits­wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nisse gelten als gesichert? Und was muss im Sinne einer menschen­ge­rech­ten Gestal­tung berück­sich­tigt werden?

In den vergan­ge­nen 25 Jahren sind eine Reihe von Studien und Analy­sen verschie­de­nen Frage­stel­lun­gen rund um die Schicht­ar­beit nachge­gan­gen. Manche Erkennt­nisse sind unter Wissen­schaft­lern umstrit­ten, andere Mecha­nis­men und Zusam­men­hänge sind noch nicht vollstän­dig erforscht. Insge­samt aber besteht Konsens in einem zentra­len Punkt: Schicht­ar­beit macht auf Dauer krank, insbe­son­dere die Nacht­schicht kann aus arbeits­wis­sen­schaft­li­cher Sicht nicht empfoh­len werden.

Nacht­eule oder Lerche?

Wie krank Schicht- und Nacht­ar­beit tatsäch­lich macht, kann nicht pauschal beant­wor­tet werden, sondern hängt von verschie­de­nen Fakto­ren und indivi­du­el­len Gegeben­hei­ten ab. Eine grund­le­gende Rolle spielt der natür­li­che Biorhyth­mus, also die innere Uhr eines Menschen. Wie diese läuft, hängt vom sogenann­ten Chrono­typ ab: Während der Typ Nacht­eule abends leistungs­fä­hi­ger ist, kommt der Typ Lerche besser frühmor­gens in die Gänge. Beiden Chrono­ty­pen zuwider läuft die Arbeit in der Nacht, wenn der mensch­li­che Organis­mus auf Ruhe und Entspan­nung einge­stellt ist und körper­li­che Funktio­nen wie Atmung, Tempe­ra­tur und Verdau­ung zurück­fährt.

Entschei­dend für die persön­li­che „Verträg­lich­keit“ von Schicht­ar­beit ist auch das Alter. Bei älteren Menschen läutet die innere Uhr das Tages­ende früher ein als bei jünge­ren, die tenden­zi­ell besser mit Spät- und Nacht­schich­ten zurecht­kom­men. Die Anpas­sungs­fä­hig­keit an wechselnde Schich­ten und Einschlaf­zei­ten verlang­sa­men sich ebenfalls mit steigen­dem Alter.

Äußere Fakto­ren bei der Schicht­ar­beit

Wie stark sich Schicht­ar­beit auf die Gesund­heit auswirkt, ist zudem mit der Art der Tätig­keit und der Arbeits­um­ge­bung verbun­den. Ausschlag­ge­bende Fakto­ren sind zum Beispiel der Grad der körper­li­chen Belas­tung, Licht- Luft- und Lärmver­hält­nisse oder auch Leistungs­druck und das Arbeits­klima.

Gesund­heits­ri­si­ken infolge von Schicht­ar­beit

Laut einem Bericht der Bundes­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­me­di­zin (BAuA) zur Dauer­nacht­ar­beit in Deutsch­land aus dem Jahr 2020 zählen Rückschmer­zen, Müdig­keit, Erschöp­fung und Schlaf­stö­run­gen zu den meist­ver­brei­te­ten Beschwer­den unter Dauer­nacht­ar­bei­ten­den.

Letztere sind nicht zu unter­schät­zen, denn Schlaf­stö­run­gen können weitere Auswir­kun­gen nach sich ziehen. Sie können die Immun­ab­wehr schwä­chen und somit andere Krank­hei­ten begüns­ti­gen und zum Beispiel das Risiko für Überge­wicht und Diabe­tes, Magen-Darm- und Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen oder Fehlge­bur­ten erhöhen. Auch psychi­sche Probleme wie Depres­sio­nen oder Burn-Out und ungesunde Verhal­tens­wei­sen wie übermä­ßi­ger Alkohol­kon­sum oder die Einnahme von Schlaf­mit­teln können Folgen von Schicht­ar­beit sein – und jeweils zu weite­ren gesund­heit­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen führen.

Nacht­schich­ten können krebs­er­re­gend sein

Die Inter­na­tio­nale Agentur für Krebs­for­schung (IARC) der WHO stuft Nacht­schicht­ar­beit als „wahrschein­lich krebs­er­re­gend“ ein. Eine Erklä­rung dafür liegt im Melato­nin-Spiegel. Das Hormon wird nur in der Dunkel­heit produ­ziert, was folglich zu einem im Körper führt, wenn in der Nacht im Hellen gearbei­tet und so die Produk­tion des Stoffs gehemmt wird.

Ein Mangel an Melato­nin soll das Risiko einer Tumor­bil­dung erhöhen. Die Erklä­rung galt vor einigen Jahren als wissen­schaft­lich umstrit­ten, neuere Studi­en­ergeb­nisse schei­nen den Zusam­men­hang aber zu bestä­ti­gen. So kam jüngst eine place­bo­kon­trol­lierte Studie zu dem Schluss, dass die Einnahme von Melato­nin nach einer Nacht­schicht mögli­cher­weise die Immun­ab­wehr gegen Krebs­er­kran­kun­gen verstär­ken kann.

Auswir­kun­gen von Schicht­ar­beit auf das Sozial­le­ben

Neben den gesund­heit­li­chen Risiken wirkt sich Schicht­ar­beit auch auf das Sozial- und Famili­en­le­ben aus, welches hierzu­lande üblicher­weise abends und am Wochen­ende statt­fin­det. Auch regel­mä­ßige Aktivi­tä­ten, zum Beispiel in einem Verein, sind im Rahmen von wechseln­den Schich­ten und Nacht­ar­beit kaum mit dem Dienst­plan zu verei­nen.

Das kann Auswir­kun­gen auf die Psyche haben und wiederum in anderen Krank­hei­ten resul­tie­ren oder die Sucht­ge­fahr erhöhen. Ein undurch­dring­li­cher Teufels­kreis also?

Kompro­miss: Gesunde und sozial­ver­träg­li­che Schicht­ar­beit

So gesund­heits­schä­di­gend sie auch sein mag – Schicht- und Nacht­ar­beit kann nicht vermie­den werden. Das gilt im Kranken­haus oder in der Alten­pflege, aber auch in anderen Branchen wie dem Gastge­werbe, in Indus­trie­be­trie­ben, Medien oder der Reini­gungs­bran­che. So bleibt am Ende nur eins: eine möglichst gesunde und sozial­ver­träg­li­che Gestal­tung der Schicht­ar­beit.

Wie das funktio­niert, zeigt zum Beispiel ein entspre­chen­der Forschungs­re­port der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018. Ansätze, um die gesund­heit­li­che und soziale Beein­träch­ti­gung durch Schicht­ar­beit zu verrin­gern, liegen demnach in arbeits­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­men zur Entlas­tung von Nacht­schich­ten. Dazu zählt etwa die Verle­gung von leich­ten Tätig­kei­ten in die Nacht, Automa­ti­sie­rung und Digita­li­sie­rung von Produk­ti­ons­ab­läu­fen und Dienst­pla­nun­gen oder die Einfüh­rung von Zwischen­schich­ten zur Abdeckung von Stoßzei­ten. Empfoh­len wird zudem ein vorwärts- und kurzro­tie­ren­des Schicht­sys­tem, beispiels­weise zwei Tage Frühschicht – zwei Tage Spätschicht – zwei Tage Nacht­schicht. Dies gilt als vorteil­haf­ter für die Gesund­heit, da so eine bessere Anpas­sung an den Biorhyth­mus und ausrei­chende Ruhezei­ten möglich sind.

Positiv wirkt sich dem Report zufolge auch aus, wenn den Beschäf­tig­ten eine gewisse Zeitsou­ve­rä­ni­tät, sprich Mitge­stal­tungs­mög­lich­keit zugestan­den wird und sie zum Beispiel Schich­ten selbstän­dig tauschen oder zwischen verschie­de­nen Schicht­plä­nen wählen können. Befür­wor­tet wird auch die Kompen­sa­tion belas­ten­der Arbeits­zei­ten durch Zeit anstatt finan­zi­el­ler Zuschläge. Dies soll vor allem der Präven­tion für jüngere Beschäf­tigte dienen, die die negati­ven Auswir­kun­gen der Schicht­ar­beit noch nicht spüren oder sich aus finan­zi­el­len Gründen zu übermä­ßi­ger Schicht- und Nacht­ar­beit motiviert fühlen.

Allge­meine arbeits­wis­sen­schaft­li­che Empfeh­lun­gen zur Schicht­ar­beit

Als arbeits­wis­sen­schaft­li­che Empfeh­lun­gen zur Gestal­tung der Schicht­ar­beit gelten darüber hinaus folgende Grund­sätze und Hinweise:

  • maximal zwei bis drei Nacht­schich­ten in Folge
  • mindes­tens 48 freie Stunden nach einem Nacht­schicht­block und geblockte Wochen­end­frei­zeit
  • Wochen­ar­beits­zeit sollte möglichst nicht über 40 Stunden liegen
  • Schicht­länge an die Belas­tung anpas­sen
  • Nacht­schich­ten sollten möglichst kurz ausfal­len
  • ergono­mi­sche Pausen­ge­stal­tung und Ruhemög­lich­kei­ten, zum Beispiel in Form von „Napping“ während der Nacht
  • medizi­ni­sche Beratung bzw. regel­mä­ßige ärztli­che Unter­su­chun­gen bei Nacht­ar­beit
  • ein indivi­du­el­ler Schlaf- und Freizeit­plan
  • eine gesunde Ernäh­rung und feste Essens­zei­ten

Alles in allem sind die Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten der Schicht- und Nacht­ar­beit so vielfäl­tig und indivi­du­ell wie die gesund­heit­li­chen und sozia­len Risiken, die damit einher­ge­hen. Schicht- und Nacht­ar­beit ist dennoch nicht für alle Beschäf­tig­ten schlecht: In bestimm­ten Lebens­pha­sen, zum Beispiel wenn die Kinder noch klein sind, kann Schicht­ar­beit die Organi­sa­tion des Alltags erleich­tern. Im Rahmen einer BAuA-Arbeits­zeit­be­fra­gung waren Dauer­nacht­ar­bei­tende mit der Arbeits­zeit durch­schnitt­lich zufrie­de­ner als Beschäf­tigte mit Wechsel­schicht – trotz deutlich schlech­te­rem Gesund­heits­zu­stand.

FAQ

Welche Auswir­kun­gen kann Schicht­ar­beit haben?

Schicht­ar­beit kann eine Reihe gesund­heit­li­cher Probleme hervor­ru­fen und zum Beispiel zu Schlaf­stö­run­gen führen oder das Risiko für Diabe­tes und Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen erhöhen. Nacht­ar­beit gilt als „wahrschein­lich krebs­er­re­gend“. Auch psychi­sche Erkran­kun­gen wie Depres­sio­nen oder Burn-out und ein beein­träch­tig­tes Sozial­le­ben können eine Folge der Schicht­ar­beit sein.

Wie kann Schicht­ar­beit gesund gestal­tet werden?

Aus arbeits­wis­sen­schaft­li­cher Sicht werden zum Beispiel folgende Maßnah­men empfoh­len: vorwärts- und kurzro­tie­rende Schich­ten, ausrei­chende Ruhezei­ten nach Nacht­schich­ten, Reduzie­rung der Schicht­dauer, Verla­ge­rung von Tätig­kei­ten, die Automa­ti­sie­rung und Digita­li­sie­rung von Arbeits­ab­läu­fen oder flexi­ble Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten durch verschie­dene Schicht­mo­delle.