
Eine wichtige Voraussetzung für die Schichtarbeit ist in § 6 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bereits im ersten Absatz festgeschrieben: Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen. Doch welche arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse gelten als gesichert? Und was muss im Sinne einer menschengerechten Gestaltung berücksichtigt werden?
In den vergangenen 25 Jahren sind eine Reihe von Studien und Analysen verschiedenen Fragestellungen rund um die Schichtarbeit nachgegangen. Manche Erkenntnisse sind unter Wissenschaftlern umstritten, andere Mechanismen und Zusammenhänge sind noch nicht vollständig erforscht. Insgesamt aber besteht Konsens in einem zentralen Punkt: Schichtarbeit macht auf Dauer krank, insbesondere die Nachtschicht kann aus arbeitswissenschaftlicher Sicht nicht empfohlen werden.
Nachteule oder Lerche?
Wie krank Schicht- und Nachtarbeit tatsächlich macht, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt von verschiedenen Faktoren und individuellen Gegebenheiten ab. Eine grundlegende Rolle spielt der natürliche Biorhythmus, also die innere Uhr eines Menschen. Wie diese läuft, hängt vom sogenannten Chronotyp ab: Während der Typ Nachteule abends leistungsfähiger ist, kommt der Typ Lerche besser frühmorgens in die Gänge. Beiden Chronotypen zuwider läuft die Arbeit in der Nacht, wenn der menschliche Organismus auf Ruhe und Entspannung eingestellt ist und körperliche Funktionen wie Atmung, Temperatur und Verdauung zurückfährt.
Entscheidend für die persönliche „Verträglichkeit“ von Schichtarbeit ist auch das Alter. Bei älteren Menschen läutet die innere Uhr das Tagesende früher ein als bei jüngeren, die tendenziell besser mit Spät- und Nachtschichten zurechtkommen. Die Anpassungsfähigkeit an wechselnde Schichten und Einschlafzeiten verlangsamen sich ebenfalls mit steigendem Alter.
Äußere Faktoren bei der Schichtarbeit
Wie stark sich Schichtarbeit auf die Gesundheit auswirkt, ist zudem mit der Art der Tätigkeit und der Arbeitsumgebung verbunden. Ausschlaggebende Faktoren sind zum Beispiel der Grad der körperlichen Belastung, Licht- Luft- und Lärmverhältnisse oder auch Leistungsdruck und das Arbeitsklima.
Gesundheitsrisiken infolge von Schichtarbeit
Laut einem Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zur Dauernachtarbeit in Deutschland aus dem Jahr 2020 zählen Rückschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen zu den meistverbreiteten Beschwerden unter Dauernachtarbeitenden.
Letztere sind nicht zu unterschätzen, denn Schlafstörungen können weitere Auswirkungen nach sich ziehen. Sie können die Immunabwehr schwächen und somit andere Krankheiten begünstigen und zum Beispiel das Risiko für Übergewicht und Diabetes, Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Fehlgeburten erhöhen. Auch psychische Probleme wie Depressionen oder Burn-Out und ungesunde Verhaltensweisen wie übermäßiger Alkoholkonsum oder die Einnahme von Schlafmitteln können Folgen von Schichtarbeit sein – und jeweils zu weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.
Nachtschichten können krebserregend sein
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO stuft Nachtschichtarbeit als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Eine Erklärung dafür liegt im Melatonin-Spiegel. Das Hormon wird nur in der Dunkelheit produziert, was folglich zu einem im Körper führt, wenn in der Nacht im Hellen gearbeitet und so die Produktion des Stoffs gehemmt wird.
Ein Mangel an Melatonin soll das Risiko einer Tumorbildung erhöhen. Die Erklärung galt vor einigen Jahren als wissenschaftlich umstritten, neuere Studienergebnisse scheinen den Zusammenhang aber zu bestätigen. So kam jüngst eine placebokontrollierte Studie zu dem Schluss, dass die Einnahme von Melatonin nach einer Nachtschicht möglicherweise die Immunabwehr gegen Krebserkrankungen verstärken kann.
Auswirkungen von Schichtarbeit auf das Sozialleben
Neben den gesundheitlichen Risiken wirkt sich Schichtarbeit auch auf das Sozial- und Familienleben aus, welches hierzulande üblicherweise abends und am Wochenende stattfindet. Auch regelmäßige Aktivitäten, zum Beispiel in einem Verein, sind im Rahmen von wechselnden Schichten und Nachtarbeit kaum mit dem Dienstplan zu vereinen.
Das kann Auswirkungen auf die Psyche haben und wiederum in anderen Krankheiten resultieren oder die Suchtgefahr erhöhen. Ein undurchdringlicher Teufelskreis also?
Kompromiss: Gesunde und sozialverträgliche Schichtarbeit
So gesundheitsschädigend sie auch sein mag – Schicht- und Nachtarbeit kann nicht vermieden werden. Das gilt im Krankenhaus oder in der Altenpflege, aber auch in anderen Branchen wie dem Gastgewerbe, in Industriebetrieben, Medien oder der Reinigungsbranche. So bleibt am Ende nur eins: eine möglichst gesunde und sozialverträgliche Gestaltung der Schichtarbeit.
Wie das funktioniert, zeigt zum Beispiel ein entsprechender Forschungsreport der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018. Ansätze, um die gesundheitliche und soziale Beeinträchtigung durch Schichtarbeit zu verringern, liegen demnach in arbeitsorganisatorischen Maßnahmen zur Entlastung von Nachtschichten. Dazu zählt etwa die Verlegung von leichten Tätigkeiten in die Nacht, Automatisierung und Digitalisierung von Produktionsabläufen und Dienstplanungen oder die Einführung von Zwischenschichten zur Abdeckung von Stoßzeiten. Empfohlen wird zudem ein vorwärts- und kurzrotierendes Schichtsystem, beispielsweise zwei Tage Frühschicht – zwei Tage Spätschicht – zwei Tage Nachtschicht. Dies gilt als vorteilhafter für die Gesundheit, da so eine bessere Anpassung an den Biorhythmus und ausreichende Ruhezeiten möglich sind.
Positiv wirkt sich dem Report zufolge auch aus, wenn den Beschäftigten eine gewisse Zeitsouveränität, sprich Mitgestaltungsmöglichkeit zugestanden wird und sie zum Beispiel Schichten selbständig tauschen oder zwischen verschiedenen Schichtplänen wählen können. Befürwortet wird auch die Kompensation belastender Arbeitszeiten durch Zeit anstatt finanzieller Zuschläge. Dies soll vor allem der Prävention für jüngere Beschäftigte dienen, die die negativen Auswirkungen der Schichtarbeit noch nicht spüren oder sich aus finanziellen Gründen zu übermäßiger Schicht- und Nachtarbeit motiviert fühlen.
Allgemeine arbeitswissenschaftliche Empfehlungen zur Schichtarbeit
Als arbeitswissenschaftliche Empfehlungen zur Gestaltung der Schichtarbeit gelten darüber hinaus folgende Grundsätze und Hinweise:
- maximal zwei bis drei Nachtschichten in Folge
- mindestens 48 freie Stunden nach einem Nachtschichtblock und geblockte Wochenendfreizeit
- Wochenarbeitszeit sollte möglichst nicht über 40 Stunden liegen
- Schichtlänge an die Belastung anpassen
- Nachtschichten sollten möglichst kurz ausfallen
- ergonomische Pausengestaltung und Ruhemöglichkeiten, zum Beispiel in Form von „Napping“ während der Nacht
- medizinische Beratung bzw. regelmäßige ärztliche Untersuchungen bei Nachtarbeit
- ein individueller Schlaf- und Freizeitplan
- eine gesunde Ernährung und feste Essenszeiten
Alles in allem sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Schicht- und Nachtarbeit so vielfältig und individuell wie die gesundheitlichen und sozialen Risiken, die damit einhergehen. Schicht- und Nachtarbeit ist dennoch nicht für alle Beschäftigten schlecht: In bestimmten Lebensphasen, zum Beispiel wenn die Kinder noch klein sind, kann Schichtarbeit die Organisation des Alltags erleichtern. Im Rahmen einer BAuA-Arbeitszeitbefragung waren Dauernachtarbeitende mit der Arbeitszeit durchschnittlich zufriedener als Beschäftigte mit Wechselschicht – trotz deutlich schlechterem Gesundheitszustand.
FAQ
Welche Auswirkungen kann Schichtarbeit haben?
Schichtarbeit kann eine Reihe gesundheitlicher Probleme hervorrufen und zum Beispiel zu Schlafstörungen führen oder das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Nachtarbeit gilt als „wahrscheinlich krebserregend“. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Burn-out und ein beeinträchtigtes Sozialleben können eine Folge der Schichtarbeit sein.
Wie kann Schichtarbeit gesund gestaltet werden?
Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht werden zum Beispiel folgende Maßnahmen empfohlen: vorwärts- und kurzrotierende Schichten, ausreichende Ruhezeiten nach Nachtschichten, Reduzierung der Schichtdauer, Verlagerung von Tätigkeiten, die Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsabläufen oder flexible Gestaltungsmöglichkeiten durch verschiedene Schichtmodelle.