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Im vergangenen Jahr nahmen rund 12.700 ausgestiegene sowie in Teilzeit beschäftigte Pflegekräfte an der Online-Befragung „Ich pflege wieder, wenn…“ teil. Die hierdurch gewonnenen Daten sind nunmehr in Modellrechnungen eingeflossen, mit denen ermittelt werden soll, wie groß das Potenzial an aufstockungswilligen Teilzeit-Pflegefachkräfte ist.
Darüber hinaus wurde erstmals ermittelt, wie groß das Potenzial an Pflegekräfte ist, die ihrem Beruf in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben, sich jedoch eine Rückkehr vorstellen könnten.
Das überraschende Ergebnis: Bei bei vorsichtigen (konservativen) Annahmen ergibt sich ein rechnerisches Vermögen von bis zu 300.000 Pflegefachkräften in Vollzeit. In einem optimistischeren Szenario ist sogar von bis zu 660.000 Vollzeitkräften die Rede. Mehr als 80 Prozent dieses Potenzials beruht auf der Rückkehr ausgestiegener Fachkräfte.
Die Studie ist das Ergebnis einer Kooperation der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Arbeitskammer im Saarland und des Instituts Arbeit und Technik (IAT), einer Einrichtung der Westfälischen Hochschule. Sie wird gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung.
Ausgestiegene Pflegekräfte zeigen Engagement auf dem Arbeitsmarkt
Weiterhin hat die Befragung ermittelt, wie aktiv ausgestiegene Pflegekräfte mit Blick auf eine mögliche Rückkehr sind: „Bereits ein Drittel der potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben Stellenangebote angesehen, knapp 6 Prozent stehen im Kontakt mit einem Arbeitgeber“, erläutert Michaela Evans, Direktorin am IAT. Die übrigen würden zumindest einmal im Monat über einen Wiedereinstieg nachdenken, seien bislang aber noch nicht aktiv geworden, so Evans weiter.
Von einem Wiedereinstieg würden aber wahrscheinlich nicht alle Arbeitsbereiche in gleicher Weise profitieren. Zwar gaben die meisten Ausgestiegenen ihren früheren Arbeitsbereich als bevorzugten Wiedereinstiegspunkt an. Dies gilt insbesondere für ehemals im Krankenhaus und in der Psychiatrie Beschäftigten. Jedoch: „Auffällig ist, dass ehemalige Beschäftigte aus den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten ihren eigenen Bereich seltener als Wiedereinstiegsbereich angeben“, so Evans.
Potenzial ist groß
Doch wie groß ist das ermittelte Potenzial an Pflegekräften? Das erstaunliche Ergebnis: Die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten könnten sich eine Stundenaufstockung und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen sich eine Rückkehr in den Beruf vorstellen!
„Das ist eine sehr gute Nachricht für die Pflege – doch diese Fachkräfte kommen nicht von allein zurück“, betont Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen.
Was muss sich ändern in der Pflege?
Im Mittelpunkt der Studie stand deshalb auch die Frage, unter welchen Bedingungen bereits ausgestiegene Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren bzw. Teilzeit-Pflegekräfte ihre Arbeitszeit erhöhen würden. Genannt wurden unter anderem folgende Punkte:
Personalbemessung
An erster Stelle steht die Einführung einer angemessenen, am tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichteten Personalbemessung – für den Bereich der Krankenhäuser, für die stationäre und die ambulante Langzeitpflege.
„Mit Sorge betrachten wir daher die Diskussion um die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0), auf die Pflegekräfte in den Krankenhäusern seit Jahren drängen und die – trotz Koalitionsvertrag – womöglich nicht eingeführt werden soll. Die Regelung darf als sehr gute Übergangslösung nicht unter die Räder kommen. Das wäre in der jetzigen Situation das absolut falsche Signal“, betont Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlandes.
„In der stationären Langzeitpflege muss die ‚Personalbedarfsmessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen‘ (PeBeM) vollständig umgesetzt werden und es bedarf eines verbindlichen Zeitplanes dafür.“
Angemessene Bezahlung
Die Geschäftsführerinnen der Arbeitskammer des Saarlandes und der Arbeitnehmerkammer Bremen betonen die zentrale Forderung vieler Befragter nach einer ausreichenden Bezahlung: „Pflegekräfte müssen endlich entsprechend den hohen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, entlohnt werden – insbesondere in der Altenpflege“.
Tarifbindung stärken
Zudem müsse die Tarifbindung in der Pflege dringend gestärkt werden, um flächendeckend höhere Löhne zu erzielen. Dass Pflegeeinrichtungen zukünftig zur Versorgung nur noch zugelassen werden, wenn sie entweder nach Tarif oder zumindest nach dem regionalen Durchschnitt zahlen, sei eine gute, aber nur die zweitbeste Lösung, so Zeiger. Denn die sogenannte Durchschnittsanwendung – also die Orientierung an den regional üblichen Löhnen – sei nicht geeignet, den Beschäftigten verlässliche und arbeitsvertraglich formulierte Lohnstrukturen zu garantieren.
Eigenanteile begrenzen
Jede Verbesserung in der Pflege wirft Fragen nach der Finanzierung auf, schließt Elke Heyduck an. „Es kann nicht sein, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen durch die Decke gehen, weil der Betrieb ausreichend Personal einstellt und die Pflegeversicherung diese Mehrkosten nicht abdeckt“, schildert Heyduck mögliche Folgen.
Der Koalitionsvertrag sieht zunächst nur die Prüfung einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Pflegevollversicherung vor. Mindestens dieser Prüfauftrag müsse nun umgesetzt werden. Mittelfristig gehörten jedoch sowohl die Pflege- als auch die Krankenversicherung auf stabilere Beine gestellt.
Die Eckdaten und zentralen Ergebnisse der Studie
An der Befragung haben sich im Herbst 2021 bundesweit 12.684 Menschen beteiligt, die entweder in Teilzeit in der Pflege tätig sind oder den Pflegeberuf verlassen haben.
Der Frauenanteil betrug 82 Prozent (ausgestiegene Pflegekräfte) bzw. 87 Prozent (Teilzeitpflegekräfte).
Etwa 25 Prozent der Befragten waren ausgestiegene Pflegekräfte und 75 Prozent Teilzeitpflegekräfte. Zwei Drittel arbeiteten aktuell oder zuletzt in der Krankenpflege, ein Drittel in der Langzeitpflege.
Die zentralen Ergebnisse:
- Die Studie ergibt ein Potenzial von mindestens rund 300.000 (konservative Hochrechnung) bis 660.000 (optimistische Hochrechnung) zusätzlichen Vollzeit-Pflegekräften durch Rückkehr in den Pflegeberuf und Aufstockung von Stunden bei Teilzeitkräften.
- Ausgestiegene Pflegekräfte = Potenzial von 263.000 (konservativ) bis zu 583.000 (optimistisch) Vollzeitäquivalente.
- Bereitschaft zur Aufstockung Teilzeitbeschäftigte = 39.000 (konservativ) bis zu 78.000 (optimistisch) Vollzeitäquivalente.
- Knapp 50 Prozent der befragten Teilzeitpflegekräfte wären bereit, ihre wöchentliche Arbeitszeit zu erhöhen – um 10 Stunden im Mittel.
- Gut 60 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte wären bereit zu einer Rückkehr im wöchentlichen Umfang von im Mittel von 30 Stunden.
Quelle: Arbeitskammer Bremen