In den ersten Monaten nach dem Ausbruch des SARS-CoV‑2 war europaweit ein akuter Mangel an Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung zu beklagen. Insbesondere bei Gesichtsmasken ist die Lieferkette stark unter Druck geraten, da die Nachfrage über bestehende wie über neue Kanäle exponentiell zugenommen hat.
Die EU reguliert den Maskenmarkt
Die Europäische Kommission reagierte auf diese Missstände mit folgeträchtigen Ausnahmeregelungen: Nach der Empfehlung (EU) 2020/403 vom 13.3.2020 über Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der COVID-19 Bedrohung wurde es sogenannten „Notifizierten Stellen“ erlaubt, die von Händlern und Herstellern in den EU-Raum eingelieferten Schutzmasken unter Anwendung eines verkürzten Prüfungsverfahrens als „Corona konform“ zu zertifizieren. Die sonst üblichen standardisierten Testverfahren für CE-Zertifizierungen, welche unter anderem gültige ISO-Normen des Herstellers und Inspektionen auf dem Fabrikgelände vorschreiben, wurden außer Kraft gesetzt. Die im neuen Verfahren zertifizierten Masken dürfen somit für den Zeitraum von einem Jahr von den Inhabern dieser temporären Bescheinigung in den EU-Warenverkehr gebracht werden. Im Falle der medizinischen Masken reichte meist zur Einfuhr der Ware die Vorlage eines einfachen Testberichtes eines chinesischen bzw. internationalen Labors, Konformitätsbestätigungen des Herstellers und des europäischen Bevollmächtigten. Mit diesen Konformitätsbestätigungen bescheinigen beide verbindlich und verantwortlich die Einhaltung der zugesicherten Qualitätseigenschaften. Nach der Registrierung von Modellmasken im Gesundheitsministerium stand dem Ausnahme-Import nichts mehr im Wege.
Abseits dieses Sonderfalles konnten und können nicht CE-zertifizierte Masken auch auf der Grundlage spezieller chinesischer Zertifikate und Richtlinien, die weitgehend mit dem europäischen Standard „EN 14683:2019“ harmonieren, ohne die Einleitung von Zertifizierungsverfahren in den innereuropäischen Verkehr gebracht werden.
Gefährliche Qualitätseinbußen
Diese Ausnahmeregelungen stellten zunächst die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Mund- und Nasenschutz sicher. Zugleich waren jedoch auch gravierend negative Qualitätseinbußen bei den importierten Waren zu verzeichnen. Tradierte Akteure im Maskengeschäft fühlten sich dupiert.
Hersteller, Importeure und einfache Händler begannen Probeexemplare von Masken an die „Notifizierten Stellen“ zu senden, um innerhalb weniger Wochen eine sogenannte „Corona-Bescheinigung“ für ihre Masken zu erhalten. Die Masken, die zum Beleg versendet wurden, waren oftmals ausgewählte Exemplare mit hinreichenden Qualitätseigenschaften, welche mitunter sogar eigens für die Vorlage bei der Prüfstelle angefertigt wurden, um ein optimales Testresultat zu erhalten. Die Masken, welche im Anschluss von den Bescheinigungs-Inhabern in den Verkehr gebracht wurden, wichen dann in der Qualität deutlich ab.
Angetrieben vom Boom des explodierenden europäischen Absatzmarktes und des Wegfalls der CE-Zertifizierungspflicht, begannen in China Fabrikanten anderer Industrien, sowie Kleininvestoren mit Zugang zu Maschinen und Räumlichkeiten ohne jegliche Erfahrung Masken zu produzieren. Das dazu benötigte chinesische Zertifikat wurde zum Teil in Umgehung der Regulatorien von einer Nachbarfabrik ausgeliehen und dann mit Hilfe dieses Nachweises durch den deutschen Zoll auf unseren Markt gebracht.
Zur Steigerung der Attraktivität chinesischer Ware ohne CE-Zertifizierung, lockten zudem verschiedene produktferne Europäische Prüfinstitute mit einem sogenannten „Freiwilligen CE-Zertifikat“, wobei die Buchstaben „CE“ mit hoher Verwechslungsgefahr den Masken aufgesetzt wurden. Der Aufbau und die Struktur des Zertifikates glichen ebenfalls der regulären Version. Der rechtliche Hinweis, dass es sich hierbei um ein freiwilliges CE-Zertifikat handelt, wurde von vielen chinesischen Herstellern bzw. Händlern nicht erkannt – ebenso vertrauten viele europäische Endkunden dem neuen Zertifkatstyp.
Irreführende Zertifikate aus Italien und betrügerische Verpackungen
In diesem Zusammenhang machte vor allem die italienische Prüfstelle Ente Certificazione Macchine (ECM) auf sich aufmerksam, deren Zulassung zur Prüfung von Persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) in Frage steht. Die European Safety Federation (ESF) warnte nach dem Bekanntwerden der Missstände vor gefährlichen „Zertifikaten“. Die nationale italienische Akkreditierungsstelle ACCREDIA hob daraufhin in einem gemeinsamen Rundschreiben mit dem italienischen Industrieministerium die Irreführung von Zertifikaten sachfremder Prüfinstitute hervor. Die Italienische Regierung hat zwischenzeitlich rechtliche Schritte gegen ECM unternommen; ebenso werden ECM-Zertifikate von offizieller spanischer Seite als Fälschung bezeichnet.
Um sich die Kosten der „Freiwilligen Prüfungsstelle“ zu sparen und den Qualitätsstandard der Masken in der optischen Wahrnehmung zu erhöhen, kamen viele Händler auf die unlautere Idee, die Verpackungen mit einer einfachen CE-Imprägnierung anfertigen zu lassen und die zuvor gemäß der chinesischen Richtlinie vereinfacht eingeführte Ware in die Kartonagen umzupacken.
Ausblick mit Konsequenzen
Das Gesamtgeschehen legt nahe, dass die zu Beginn der Pandemie als sinnvoll erachteten Ausnahmeregelungen sich immer mehr als dubioses Betätigungsfeld für maximal gewinnorientierte Akteure entwickelte. Begriffe wie „Sorgfaltspflicht“ und „Qualitätssicherung“ rückten in den Hintergrund – der schnelle Profit regierte, ohne Rücksicht auf Schäden und Verluste. Ob am Ende das auf einer COVID-19 Intensivstation um Menschenleben ringende medizinische Personal Masken ohne tatsächlichen Filtrationsschutz trug, war zweitrangig. Steuer- und Finanzberater, Immobilienmakler, und Händler diverser Segmente wurden von heute auf morgen zu Maskenhändlern.
Als Konsequenz bekamen medizinische Einrichtungen und staatliche Institutionen regelmäßig Mangelware geliefert, für die sie auch noch unverschämte Preise zahlen mussten. Vor diesem Hintergrund bleiben die Prozessausgänge vor dem Landgericht Bonn mit großer Spannung abzuwarten. Es ist gut vorstellbar, dass den zivilrechtlichen Verfahren strafrechtliche Ermittlungen folgen werden.
Hinweis: Der Handel mit unsicheren, gefälschten Masken weist sich durch einen Domino-Effekt aus. Im Ausgang eines solchen rechtswidrigen Prozesses wirken Hersteller und Vertriebsfirmen entweder gegenseitig oder gemeinsam mit einer Zertifizierungstelle meist unseriös miteinander. Als nächstes Glied reiht sich der Santitätsfachhändler in diese Kette, der die importierte Ware in den Einzelhandel weiterreicht, in der dann der Apotheker die gefälschte, unsichere Ware an den Endverbraucher weitergibt. Dieser erwirbt die Maske dann zu extrem hohen Kosten.