„Wenn Sie abnehmen würden, hätten Sie weniger Schmerzen.“ „Reißen Sie sich doch mal am Riemen.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?
Das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten ist oft nicht einfach. Früher sprach man von den „Halbgöttern in Weiß“, die Entscheidungen im Alleingang fällen. Heute richtet sich das Gesundheitssystem mehr und mehr auf selbstbestimmte Patienten und Patientinnen ein, die über ihre Gesundheit eigenständig entscheiden. Aber sehr oft verhindert die Sprache im Arztgespräch den gleichberechtigten Austausch – und kann eine erfolgreiche Behandlung so auch behindern.
Sprache spiegelt ein Machtverhältnis
Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Zum einen ist die medizinische Fachsprache zwar für Ärztinnen und Ärzte (und auch für Pflegekräfte) völlig normal, für Menschen ohne medizinischen Hintergrund aber ein Buch mit sieben Siegeln. Oft fällt es medizinischen Experten gar nicht so leicht, sich so auszudrücken, dass sie allgemein verständlich sind. Gerade das ist aber notwendig, damit Patienten eine gültige Einwilligung in die Behandlung geben können.
Noch wichtiger ist aber das hierarchische Denken. Denn nach wie vor sind viele Arztgespräche Monologe, in denen der Arzt dem Patienten seine Krankheit erklärt. Für den Psychodiabetologen Prof. Bernd Kulzer ist ein reflektiertes Rollenverhalten von Arzt und Patient zentral für den Therapieerfolg.
Seiner Meinung nach bewegt sich die Gesellschaft weg vom aktivem Arzt, der dem passiven Patienten gegenübersitzt, hin zu mehr Gleichberechtigung, was seit 2013 auch durch das Patientenrechtegesetz geregelt ist.
Trotzdem spiegele die Sprache in der Medizin oft nach wie vor ein Machtverhältnis zwischen Arzt und Patient wieder, dass die Behandlung unnötig erschwert. „Ein chronisch kranker Mensch erbringt jeden Tag eine Leistung. Die Sprache des Arztes muss das wiedergeben und auch die Realität des Patienten einbeziehen.“
Mit drastischen Aussagen wachrütteln
Noch fataler ist es, wenn sich Patienten druch die Behandlung kritisiert oder nicht respektiert fühlen. Das passiert oft unbewusst: Ärzte versuchen, Patienten durch drastische Aussagen wachzurütteln („Solange Sie nicht abnehmen, kann ich gar nichts für Sie tun“) oder ärgern sich über Patienten, die sie als beratungsresistent wahrnehmen („Sie müssen endlich einsehen, dass…“).
Diabetologe Dr. Jens Kröger kennt das Problem. Die Realität im Arztgespräch sei immer noch, dass der Arzt die Ansagen macht. „Partizipative Entscheidungsfindung muss nicht notwendigerweise den Zeitaufwand erhöhen, es ist eine Frage der Struktur, wie man es in den Behandlungsprozess integriert.
Sowohl Ärzte und Ärztinnen wie auch betroffene Menschen müssen lernen, mit diesem Konzept umzugehen. Menschen mit Diabetes müssen aber auch erkennen, dass sie sich gegebenenfalls vorbereiten müssen und können, um sich aktiv einzubringen. Dies bedeutet, wie bei einem geplanten Einkauf einen Zettel mit Fragen und Anregungen zu formulieren und zum Gespräch mitzubringen.“
Meinung der Patienten muss respektiert werden
Dazu gehört auch, dass die Meinung der Patienten respektiert wird: „Wenn zum Beispiel eine Änderung des Lebensstils aktuell nicht möglich ist oder als unangenehmer empfunden wird als die Krankheit, dann muss ich das akzeptieren. Aber die Patienten sollten das Wissen darüber haben, was möglich ist.“
Abschreckung ist seiner Meinung nach wirkungslos: „Wir sprechen über Folgeerkrankungen, aber in einer Form, in der die Menschen das auch umsetzen können. Von Schockbildern bei Diabetes halte ich überhaupt nichts.“
Federführend in der Beschäftigung mit Sprache ist die Bewegung Language matters, deren Ziel es ist, eine patientengerechte Sprache für Menschen mit Diabetes zu entwickeln. Denn besonders bei Diabetes Typ 2 spielt auch das Thema Schuld eine Rolle: In den Medien wird zum Beispiel oft unterstellt, dass ein Mensch mit Typ 2 durch ein falsches Ernährungs- und Bewegungsverhalten die Krankheit selbst verursacht hat.
Dadurch sind viele Patienten den behandelnden Ärzten gegenüber schon zu Beginn der Behandlung in der Defensive. Viele Ärzte machen das durch ihr Kommunikationsverhalten noch schlimmer. Kröger nennt Beispiele aus der Praxis:
- „Wenn Sie sich nicht besser um ihren Diabetes kümmern, müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie blind an der Dialyse landen.“
- „Leider ist es jetzt zu spät, das hätten Sie sich vorher überlegen müssen. Die Folgeerkrankungen sind jetzt da und Sie können nur hoffen, dass Sie nicht noch schlechter werden.“
- „Anstatt so viel Zeit mit Essen zu verbringen, sollten Sie sich lieber in der frischen Luft bewegen.“
- Auch Lob kann so verpackt werden, dass es auf den Patienten herablassend wirkt: „Na sehen Sie, geht doch.“
Ein Mensch, der so angesprochen wird, verliert schnell die Motivation, sich aktiv an der Behandlung zu beteiligen. Dabei können schon Kleinigkeiten den Unterschied machen: „Ihre Blutzuckerwerte sind nicht im Zielbereich“ ist deutlich neutraler als „Ihre Blutzuckerwerte sind schlecht.“
Ausnahmesituation für die Patienten
Viele Ärzte vergessen auch, dass ein Mensch, der die Diagnose erhält, erst einmal Zeit benötigt, sich auf die neue Situation und eine eventuelle Behandlung einzustellen. Was für den Arzt ein ganz normaler Mittwoch ist, ist für den Patienten, der mit einer chronischen Krankheit diagnostiziert wird, der Tag, an dem sich sein Leben drastisch verändert hat.
Dafür muss die Krankheit noch nicht einmal tödlich sein. Schon die Diagnose Asthma kann dazu führen, dass der Patient plötzlich sehr verunsichert ist: Kann ich noch Sport machen? Muss ich jetzt jeden Monat zum Arzt für ein neues Rezept? Sollte ich die Wandertour in den Bergen, auf die ich mich schon lange freue, lieber absagen? Wie aufwändig wird die Behandlung? Hier sollten Ärztinnen und Ärzte empathisch sein und dem Patienten die Zeit lassen, die er braucht.