Wie sehr es schon heute an Fachkräften in der Kranken- und Altenpflege mangelt, zeigen unter anderem 25.000 offene Arbeitsstellen, die Ende 2023 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet waren. Die Zukunft sieht noch düsterer aus: Verschiedene Prognosen gehen davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten hunderttausende Pflegekräfte fehlen werden.
Rekrutierung im eigenen Land reicht nicht aus
Pflegekräfte müssen also her. Da Deutschland altert und dem Arbeitsmarkt dadurch zukünftig generell weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, reichen selbst intensivste Bemühungen um Pflegekräfte im eigenen Land nicht aus, um die Lücke zu schließen. Sie müssen auf jeden Fall auch aus dem Ausland rekrutiert werden.
Die gezielte Anwerbung ausländischer Pflegekräfte läuft schon seit einigen Jahren. Anhaltspunkte für die aktuelle Entwicklung dieser Bemühungen liefert eine Antwort der Bundesregierung auf eine 22 Fragen umfassende Kleine Anfrage der Unionsfraktion zum staatlichen Programm „Triple Win“ und anderen Maßnahmen zur Gewinnung internationaler Pflegefachkräfte.
Überwiegend private Anwerbung
Demnach hat sich Zahl der angeworbenen Pflegekräfte aus dem Ausland seit 2016 verdreifacht. Dies ist aber nur indirekt auf staatliche Programme zurückzuführen. Über „Triple Win“ zum Beispiel wurden im Jahr 2022 gerade einmal 463 Pflegefachkräfte und 91 Auszubildende vermittelt, während im gleichen Zeitraum rund 21.000 Anerkennungsverfahren ausländischer Pflegekräfte erfasst waren.
Diese weit auseinanderklaffenden Größenordnungen lassen sich auf einen hohen Anteil privater Anwerbungen durch Vermittlungsagenturen und Arbeitgeber zurückführen. Die Bundesregierung schätzt den Anteil der privaten Vermittlungen unter Berufung auf Branchenangaben auf 80 bis 90 Prozent.
Was bringen staatliche Programme?
Wenn es Agenturen oder Arbeitgeber augenscheinlich so viel besser gelingt, die dringend benötigten Pflegekräfte anzuwerben, stellt sich die Frage, woran das liegt. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf begrenzte Kapazitäten, weshalb die staatliche Anwerbung den Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht alleine decken kann.
Ohne private Anwerbung läuft es also nicht. Die Bundesregierung nennt es ein „synergistisches Nebeneinander“ und versteht die staatlichen Initiativen auch als Impulsgeber und Wegbereiter für private Vermittler, die seit der Einführung von „Triple Win“ im Jahr 2013 in vielfältigen Formen auf dem Markt Einzug erhalten haben.
Staatliche Anwerbeprogramme
Das „Triple Win“ Programm wird seit 2013 von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) umgesetzt. Angeworben werden Fachkräfte aus Tunesien, Jordanien, den Philippinen, Indonesien, dem Bundesstaat Kerala in Indien, Bosnien und Herzegowina sowie Auszubildende aus Vietnam. Darüber hinaus ist die BA mit anderen Partnern an weiteren Projekten beteiligt, zum Beispiel dem Lateinamerika Projekt, bei dem die Länder Brasilien, Mexiko und Kolumbien im Fokus stehen.
In enger Zusammenarbeit mit den Partnerländern werden Abkommen im Sinne aller Beteiligten getroffen, individuelle Gegebenheiten, wie z.B. ein Fachkräfteüberschuss im anderen Land werden berücksichtigt. Auch organisatorische Voraussetzungen, wie das Angebot an Deutschkursen oder länderübergreifende Begleitung, die den Pflegekräften Sicherheit bieten, werden durch die Zusammenarbeit und kontinuierlichen Austausch geschaffen. Finanziert werden die Programme über Dienstleistungsgebühren der teilnehmenden Arbeitgeber an die Projektpartner, andere Kosten wie Personalkosten laufen über den Haushalt der BA.
Gütesiegel für faire Anwerbung
Die privatwirtschaftliche Anwerbung ausländischer Pflegekräfte wird vom Bundesgesundheitsministerium mit dem Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ unterstützt. Das Siegel bescheinigt die Erfüllung internationaler Standards und besagt, dass die Anwerbung fair, ethisch und nachhaltig vonstatten geht. Maßgebliches Vorbild für dieses Siegel sind die staatlichen Programme, die den angeworbenen Pflegekräften unter anderem Folgendes garantieren sollen:
- Transparenz: Der Anwerbeprozess muss für die Fachkräfte in allen Punkten klar sein
- Grundprinzip der Schriftlichkeit
- Keine Vermittlungsgebühren: Die Anwerbekosten werden vom Arbeitgeber getragen
- Keine Diskriminierung, das bedeutet auch Gleichstellung mit heimischen Kräften
- Integrationskonzept beim Arbeitgeber
Pflegekräfte aus dem Ausland kommen und gehen
Das Gütesiegel des Gesundheitsministeriums tragen derzeit rund 60 Unternehmen, darüber hinaus sollen zahlreiche Neuanträge zur Entscheidung anstehen. Doch die besten Maßstäbe bringen nicht viel, wenn eine angeworbene Pflegekraft am Ende nicht bleiben will, weil sie sich nicht wohlfühlt, diskriminiert fühlt oder Rassismus erfährt, wie es immer wieder berichtet wird.
Die Zufriedenheit unter Fachkräften, die über „Triple Win“ vermittelt wurden, gilt zwar als hoch: jeweils mehr als 90 Prozent der teilnehmenden Kräfte bewerteten das Programm in Umfragen in den Jahren 2019 bis 2022 positiv und würden es weiterempfehlen.
Gemessen am hohen Anteil der privat vermittelten Pflegekräfte aus dem Ausland, lässt sich diese Aussage aber kaum auf alle übertragen – zumal laut Antwort der Bundesregierung bei den Angaben zum privaten Vermittlungsanteil nicht unterschieden wird, ob sie von Anbietern mit oder ohne Gütesiegel kommen.
Gleiches gilt sicherlich auch für die Seite der Arbeitgeber, die an einer Umfrage zu staatlichen Anwerbeprogrammen im Jahr 2023 teilnahmen und diese zu 63 Prozent als gut oder sehr gut bewerteten.
Hürde Deutschkurs
Nicht alle angeworbenen Pflegekräfte schaffen es tatsächlich bis nach Deutschland – oftmals klappt es mit der Sprache nicht. So haben von insgesamt 5.200 Teilnehmenden, die von 2019 bis 2023 im Rahmen von „Triple Win“ einen Deutschkurs besucht haben, 1.800 Teilnehmende das erforderliche Deutschniveau B1 erreicht – was aber nicht automatisch heißt, dass alle anderen ausgeschieden sind, denn viele lernen noch beziehungsweise wiederholen die Prüfung.
Stichproben haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass generell 20 bis 30 Prozent aus dem Programm ausscheiden oder das geforderte Sprachniveau B1 nicht erreichen.
Eine Sprache zu lernen, braucht Zeit. Wie viel Zeit, hängt auch von der Intensität der Deutschkurse und individuellen Vorkenntnissen und Fähigkeiten ab. Die Bundesregierung schätzt die Dauer der Prüfungsvorbereitung allgemein auf 7 bis 12 Monate.
Berufsanerkennung in Deutschland möglich
Zeit müssen die angeworbenen Pflegekräfte auch für die Anerkennung ihrer Qualifikation in Deutschland einplanen: Die Berufsanerkennung dauert nach Angaben der Bundesregierung im Schnitt 15,4 Monate.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, welches die Einwanderung für Fachkräfte vereinfacht und erweitert hat, erlaubt es Pflegekräften gemäß § 16d Absatz 3 AufenthG inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen, die Berufsanerkennung in Deutschland durchzuführen und somit schon vorher einzureisen. Sie dürfen parallel auch schon arbeiten, allerdings nur im Umfang von Hilfstätigkeiten.
Weitere Maßnahmen zur Anwerbung
Um weiterhin Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, sollen eine Reihe anderer Maßnahme der Bundesregierung die Anwerbung unterstützen. Dazu zählen:
- Das Pflegestudiumstärkungsgesetz, welches das Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse bundeseinheitlich regeln und vereinfachen soll.
- Eine umfassende Gleichwertigkeitsprüfung auf fachlicher Ebene kann wegfallen, wenn eine Kenntnisprüfung oder ein Anpassungslehrgang absolviert wird.
- Bewerbung und Weiterentwicklung des Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“.