Erste Schritte: Involvierte Personen informieren
Auch ohne eigenes Fehlverhalten können Pflegefachkräfte und Ärzte leicht ins Visier von Patienten, ihrem Anwalt und Krankenversicherern geraten. Allein im Jahr 2022 gab es im stationären und ambulanten Bereich über 13.000 Vorwürfe von Behandlungsfehlern.
Ist der Schadenfall bekannt geworden, müssen zunächst alle Personen, die am Behandlungsgeschehen involviert waren, koordiniert werden. Auf jeden Fall sollte also die betroffene Pflegefachkraft und der diensthabende Arzt den unmittelbar Vorgesetzten oder die Pflegedienstleitung über die Situation informieren. Diese sind für die Koordination der weiteren Schritte verantwortlich und konsultieren den Arbeitgeber und die Rechtsabteilung des Hauses.
Ganz wichtig ist es in diesen Schritten, die Informationen äußert vertraulich zu behandeln. Es dürfen keine Details mit Kollegen oder anderen Personen geteilt werden, die nicht direkt involviert sind.
Außerdem sollte der Haftpflichtversicherer umgehend in Kenntnis gesetzt werden. Dem Arbeitgeber obliegt gemäß Ziffer 25.1. AHB gegenüber dem Haftpflichtversicherer die schriftliche Bekanntgabe des Haftpflichtschadens innerhalb einer Woche.
In den Schadenabteilungen der Haftpflichtversicherer sitzen juristische Experten, die eine zuverlässige Bewertung des Vorwurfs vornehmen können.
Auf keinen Fall die Schuld eingestehen!
Der Bewertung des Haftpflichtversicherers darf in keinem Fall vorgegriffen werden. Deshalb dürfen keine verbindlichen Erklärungen zu Haftungsfragen gegenüber dem Patienten abgegeben werden.
Eine wichtige Information für den Austausch mit dem Patienten: Pflegekräfte und Ärzte schulden dem Patienten nur die standardmäßige Behandlung, nicht aber den Behandlungserfolg.
Oder in anderen Worten: Eine Behandlung, die nicht das vom Patienten gewünschte Ergebnis erzielt hat, führt nicht automatisch zu einer Haftung der betroffenen Behandler.
Unter keinen Umständen sollten also Schuldanerkenntnisse abgegeben werden. Das verbietet das sogenannte Anerkenntnisverbot (§ 105 VVG). Eine Klausel, die in der Regel in Versicherungsverträgen enthalten ist.
Sie verbietet, dass der Versicherungsnehmer ohne Zustimmung des Versicherers Ansprüche eines Dritten – in dem Fall des Patienten – befriedigen darf.
Dieses Anerkenntnisverbot enthält zugleich das Recht, ein schuldhaftes Verhalten zu leugnen oder keinerlei Erklärungen abzugeben. So soll sichergestellt werden, dass nur berechtigte Ansprüche anerkannt oder bezahlt werden.
Wer der Beurteilung des Falls durch den Haftpflichtversicherer vorweggreift und gegenüber dem Patienten Fehler eingesteht, gefährdet also seinen Versicherungsschutz.
Kommunikation mit dem Patienten
Das bedeutet nicht, dass die Kommunikation mit dem Patienten vollständig einzustellen ist. Grundsätzlich können außergerichtliche Gespräche dazu geeignet sein den Geschehensablauf zu deeskalieren.
Trotzdem ist äußerste Vorsicht geboten, weil die Kontaktaufnahme mit dem Patienten bzw. dessen juristischen Vertreter immer auch eine Gratwanderung zwischen Selbstbezichtigung und Selbstverteidigung ist.
Ist es streitig, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt oder ist das Verhältnis zum Patienten stark gestört, sollten Gespräche sicherheitshalber unterbleiben.
Sind Gespräche gewünscht, sollten diese immer im Beisein einer weiteren vertrauten Person geführt werden. So kann ausgeschlossen werden, dass Beweisschwierigkeiten auftreten oder Aussagen falsch interpretiert werden.
Wichtig: Dokumentation sichern
Während betroffene Pflegekräfte und Ärzte die Bewertung des Vorfalls dem Haftpflichtversicherer überlassen, können sie sehr wohl dabei helfen, den Sachverhalt aufzuklären.
Sämtliche Pflegedokumentation und relevante Unterlagen, die den Fall betreffen, sollten vollständig und genau gesichert werden. Dies beinhaltet Pflegeberichte, Medikationslisten, Einwilligungserklärungen und jegliche Kommunikation mit dem Patienten.
Die Dokumentation ist rechtlich vorgegeben und für genau solche Fälle gedacht, in denen Haftungsfragen entstehen. Eine ausführliche Dokumentation kann vor allem bei unrechtmäßigen Anschuldigungen eines Behandlungsfehlers den entscheidenden Unterschied machen.
In § 630f BGB ist die Dokumentationspflicht festgehalten. Demnach ist der Behandelnde dazu verpflichtet
„sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.“
Damit auch Fälle, die weiter zurückliegen, verlässlich dokumentiert sind, müssen Patientenakten für zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung aufbewahrt werden.
Bevor jedoch Patientendaten an den Versicherer oder andere preisgegeben werden, ist immer an die Einwilligung des Patienten hierzu zu denken. Hier greift die sogenannte Schweigepflichtsentbindungserklärung.
Die Schweigepflichtsentbindung wird gebraucht, damit Geheimnisträger über den Fall sprechen dürfen. Das ist vor allem dann nötig, wenn es um Leistungen von Versicherern oder ein Gerichtsverfahren geht.
Müssen Behandlungsunterlagen verschickt werden, ist außerdem zu beachten, dass nur die Kopien der Dokumentation in den postalischen oder digitalen Versendungen kommen. Die Originale sollten grundsätzlich immer in eigener Hand verbleiben.
Was tun, wenn der Fall an die Öffentlichkeit gerät?
In einigen Fällen kann es vorkommen, dass an dem Schadensereignis ein öffentliches Interesse besteht. Hier ist unbedingt ein professioneller Umgang mit der Presse erforderlich.
Entsprechend sollte die Kommunikation mit der Öffentlichkeit durch eine neutrale, nicht persönlich betroffene Person erfolgen. Am besten geeignet ist hier ein Pressesprecher oder der Rechtsanwalt.
Bei jeglichen Informationen, die nach außen getragen werden, ist zu beachten, dass nicht zu viel über die Behandlungsumstände preisgegeben wird.
Zwar gibt es nach Artikel 5 GG einen Anspruch der Öffentlichkeit auf Information. Dieses Recht muss allerdings sorgfältig mit dem Gebot der Schweigepflicht (§ 203 StGB) abgewogen werden.
Sollte sich die Situation nach Abwägung beider Rechte nicht klar gestalten, ist im Zweifel immer das Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 GG in Verbindung mit Artikel 2 GG) des Patienten zu priorisieren.
FAQ
Welche Schritte sollen Pflegefachkräfte und Ärzte unternehmen, wenn ein Behandlungsfehler vermutet wird?
Alle beteiligten Personen müssen ihre Vorgesetzten oder die Pflegedienstleitung informieren, die dann den Arbeitgeber und die Rechtsabteilung konsultieren. Der Haftpflichtversicherer muss umgehend informiert werden und alle Informationen sind vertraulich zu behandeln?
Was ist das Anerkenntnisverbot und warum ist es wichtig?
Das Anerkenntnisverbot untersagt es dem Versicherungsnehmer, ohne Zustimmung des Haftpflichtversicherers, Ansprüche eines Dritten anzuerkennen oder zu befriedigen. Das ist sinnvoll, weil der Versicherer so die Möglichkeit hat, die Ansprüche zu prüfen und sicherzustellen, dass nur berechtigte Ansprüche anerkannt werden.
Wie sollten Pflegefachkräfte mit dem Patienten kommunizieren, wenn dieser mit dem Anwalt droht?
In der Kommunikation mit dem Patienten dürfen keine verbindlichen Erklärungen zu Haftungsfragen abgegeben werden. Gespräche sollten gegebenenfalls im Beisein einer weiteren vertrauten Person stattfinden, um Missverständnisse zu vermeiden.
Fazit
Sollte ein Patient wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers mit dem Anwalt drohen, ist eine sorgfältige und koordinierte Vorgehensweise wichtig, um rechtliche und versicherungstechnische Probleme zu vermeiden.
Pflegefachkräfte und Ärzte sollten sofort ihre Vorgesetzten und diese dann den Haftpflichtversicherer informieren. Alle Schritte sind vertraulich zu behandeln.
Eine gründliche Dokumentation ist essenziell, um den Sachverhalt zu klären und mögliche unberechtigte Anschuldigungen abzuwehren. Es ist entscheidend, keine Haftungsanerkenntnisse ohne Zustimmung des Versicherers abzugeben, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden.
Bei der Kommunikation mit dem Patienten und der Öffentlichkeit ist äußerste Vorsicht geboten, um sowohl die rechtlichen Anforderungen als auch das Persönlichkeitsrecht des Patienten zu wahren.