COVID-19: Der stärkste Fallzahl-Rückgang war im Januar 2022 mit minus 23 Prozent zu verzeichnen. Zuletzt hat sich die Lage mit minus 9 Prozent im Juni wieder entspannt.
„Die Fallzahl-Rückgänge in der jüngsten Pandemiewelle haben zwar ein vergleichbares Ausmaß wie die in den Wellen davor, aber andere Gründe“, kommentiert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber die Ergebnisse. „Sie dürften in erster Linie auf Personalausfälle infolge der zahlreichen Omikron-Infektionen zurückzuführen sein, während zu Beginn der Pandemie gezielte Absagen geplanter Operationen erfolgten, um die stationäre Versorgung aufrechtzuerhalten.“
Erneut weniger Herzinfarkt- und Schlaganfall-Behandlungen
Der Blick auf die einzelnen Leistungsbereiche zeigt von Januar bis Mai 2022 erneut vergleichbare Fallzahlrückgänge bei Notfällen, Krebsoperationen, planbaren OPs und sogenannten ambulant-sensitiven Behandlungen wie in den letzten drei Pandemiewellen. So gab es in der Omikron-Welle im Vergleich zum Zeitraum Januar bis Mai 2019 14 Prozent weniger Herzinfarkt-Behandlungen und 13 Prozent weniger Schlaganfall-Behandlungen.
Die Rückgänge waren bei den leichteren Infarkten und Schlaganfällen stärker ausgeprägt als bei den schweren Fällen. „Dieser Befund, den wir auch schon bei unseren letzten Analysen gesehen haben, deutet darauf hin, dass Patientinnen und Patienten mit milderen Symptomen oftmals nicht den Notarzt gerufen haben und in vielen Fällen nicht oder nur mit Verzögerung im Krankenhaus angekommen sind“, erklärt Jürgen Klauber.
Alarmierender Rückgang der Darmkrebs-Operationen
Bei den Krebs-Operationen zeigt sich ein differenziertes Bild: Während sich die Lage bei den Brustkrebs-Operationen mit minus 7 Prozent eher normalisiert hat, ist bei den Darmkrebs-Operationen mit minus 20 Prozent der bislang höchste Rückgang aller bisherigen Pandemiewellen zu verzeichnen.
„Die Vermutung liegt nahe, dass ausgebliebene Diagnostik und Früherkennung dazu führen, dass Darmkrebs-Erkrankungen nicht rechtzeitig erkannt und frühzeitig behandelt werden“, sagt Klauber. Belegen lasse sich diese These zwar bisher nicht. Aber: „Der anhaltende starke Rückgang ist in seinem Ausmaß aber auf jeden Fall alarmierend.“
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, zeigt sich entsetzt: „Der anhaltende Einbruch bei den Darmkrebs-Operationen gibt Anlass zu ernsthafter Sorge. Es ist zu befürchten, dass diese Einbrüche auch mit dem Rückgang bei den Früherkennungs-Untersuchungen in der Pandemie zu tun haben. Daher erneuern wir unseren Appell, die Früherkennungs-Untersuchungen wirklich wahrzunehmen. Die Früherkennung von Darmkrebs, Prostatakrebs oder Gebärmutterhalskrebs kann schwere Erkrankungen verhindern und sogar Leben retten.“
Deutlich weniger Mandelentfernungen
Bei planbaren Eingriffen, die zu Beginn der Pandemie 2020 noch stark zurückgefahren worden waren, um die Kliniken zu entlasten, gab es zuletzt nur noch moderate Rückgänge. So war bei der Implantation von Hüftprothesen nur noch ein Minus von 8 Prozent zu verzeichnen. Weiterhin sehr hoch sind die Rückgänge dagegen bei den Mandelentfernungen: minus 43 Prozent.
Die starken Einbrüche bei den sogenannten ambulant-sensitiven Diagnosen, die nach Einschätzung von Expertinnen und Experten sehr häufig ebenso gut im ambulanten Bereich behandelt werden könnten, setzten sich in der jüngsten Pandemiewelle fort: Minus 39 Prozent bei der Behandlung der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), minus 37 Prozent bei Rückenschmerzen, minus 34 Prozent bei Bluthochdruck-Behandlungen und minus 22 Prozent bei den Behandlungen von Diabetes.
„Hier kann man wohl nicht mehr von einem vorübergehenden Pandemieeffekt sprechen. Diese Patientinnen und Patienten, die in der Vergangenheit häufiger im Krankenhaus behandelt wurden, kommen mit diesen Erkrankungen nicht mehr so schnell dorthin zurück“, erläutert Jürgen Klauber. Diese Entwicklung müsse in die Überlegungen zur Reform der Krankenhauslandschaft in Deutschland einbezogen werden. „Die Regierungskommission ist gefordert, den Abbau von Über- und Fehlversorgung, der sich zumindest in Teilen hinter diesen Zahlen verbergen dürfte, in ihre Überlegungen einzubeziehen.“
Kein positiver Trend bei Sterblichkeit beatmeter COVID-19-Patientinnen und ‑Patienten
Die Analyse des WIdO macht einige Besonderheiten der Omikron-Welle gegenüber den Infektionswellen der Jahre 2020 und 2021 sichtbar: „Mit der Omikron-Welle sank der Anteil der Patientinnen und Patienten, die wegen COVID-19 stationär behandelt werden mussten. Gleichzeitig stieg der Anteil derer, bei denen COVID-19 nicht der primäre Behandlungsanlass für den Krankenhausaufenthalt war“, erklärt Jürgen Klauber.
„Daher haben wir in unsere aktuellen Analysen nur noch jene Patientinnen und Patienten einbezogen, bei denen zusätzlich zur COVID-19-Diagnose eine weitere, für diese Erkrankung relevante Hauptdiagnose wie beispielsweise eine Viruspneumonie oder eine akute Infektion der Atemwege kodiert wurde.“ Die entsprechende Auswertung zeigt, dass sich der Anteil der hospitalisierten Erkrankten ab 18 Jahren, die auf Beatmung angewiesen waren, im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Infektionswellen von 22 auf 11 Prozent halbiert hat. Keine positive Entwicklung gab es allerdings bei der Sterblichkeit der besonders schwer erkrankten Patientinnen und Patienten mit Beatmung: Sie lag auch in der Omikron-Welle weiterhin bei über 50 Prozent.
Bemerkenswerter Anstieg bei Behandlungen von Kindern wegen COVID-19
Bemerkenswert ist der deutliche Anstieg des Anteils der wegen COVID-19 stationär behandelten Kinder und Jugendlichen an allen Patientinnen und Patienten: Er lag in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 zwischen 10 und 11 Prozent. Zum Vergleich: In der vierten Welle von Oktober bis Dezember 2021 lag dieser Wert noch bei 2 bis 3 Prozent.
„In der Omikron-Welle ist die Zahl der Neuinfektionen bei Kindern stark angestiegen. Die Folgen der zahlreichen Infektionen in Schulen und Kindergärten und der hohen Inzidenzen in den jüngeren Altersgruppen spiegeln sich auch bei den Krankenhausbehandlungen wider“, kommentiert Jürgen Klauber diese Ergebnisse.
Das WIdO aktualisiert mit den vorliegenden Daten eine Auswertung aus dem April 2022, die anlässlich der Vorstellung des Krankenhaus-Reports 2022 veröffentlicht worden ist. Basis sind die Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten, die etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung abbilden.
Für die COVID-19-Analysen wurden die Daten von rund 190.000 Patientinnen und Patienten mit bestätigter COVID-19-Diagnose und für diese Erkrankung relevanter Hauptdiagnose ausgewertet, die vom 1. Februar 2020 bis zum 31. März 2022 in die deutschen Krankenhäuser aufgenommen worden waren.
Quelle: AOK