Sachverhalt
Die Klägerin, um die es in dem Fall ging, leidet seit ihrem 16. Lebensjahr zunehmend an einer genetischen Ataxie mit okulomotorischer Apraxie Typ 2, einer schweren sensomotorischen Polyneuropathie mit Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße. Dazu kämpft sie mit einer chronischen Wunde im Bereich der zweiten und dritten linken Zehe mit rezidivierenden Wundrosen und Wundinfektionen. Wegen letzterer musste die Klägerin in der Vergangenheit häufig ins Krankenhaus. Seit 1998 ist die Klägerin wegen ihrer motorischen Einschränkungen auf einen Rollstuhl angewiesen.
Die Erstattung für die podologischen Komplexbehandlungen, die ihr von der behandelnden Internistin verordnet wurden, lehnte die beklagte Krankenkasse jedoch ab. Grund war, dass es sich bei der Behandlung um eine neue Methodik handele, die nach den Vorgaben der Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL) nicht genehmigungsfähig sei. Nachdem der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen wurde, erhob sie Klage beim Sozialgericht Münster. Dabei legte sie zur Begründung einen Ambulanzbericht vor, wonach sich der neurologische Befund verschlechtert habe – gleichzusetzen mit einem schweren Diabetischen Fußsyndrom.
Die Klage hatte Erfolg: Die Krankenkasse wurde zur Kostenübernahme für eine podologische Komplexbehandlung verurteilt und soll auch für zukünftig verordnete und notwendige Behandlungen aufkommen. Die Berufung der beklagten Krankenkasse vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordhein-Westfalen blieb erfolglos (Urteil vom 28. März 2019 – L 5 KR 198/18). Erst mit dem Urteil des Bundessozialgerichts wendete sich das Blatt.
Revision erfolgreich – Doch kein Anspruch auf Kostenübernahme?
Das Bundessozialgericht hat der Revision der Krankenkasse am 17. Dezember 2019 stattgegeben (Az.: B 1 KR 18/19). Die Krankenkasse behauptete einen Verstoß gegen § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V. Der Senat erkannte dies an und hob die Urteile der Vorinstanzen auf. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf die Kostenübernahme podologischer Behandlung ihrer Füße für die Zukunft, noch für die bereits aufgebrachten Kosten. Die podologische Behandlung ist ein neues Heilmittel, für welches der G‑BA (zu dem damaligen Zeitpunkt) noch keinen Nutzen anerkannt und keine Empfehlungen zur Qualitätssicherung abgegeben habe.
Änderung der Heilmittel-Richtline – Wäre das Urteil heute anders ausgefallen?
Mit Beschluss vom 20. Februar 2020 hat der G‑BA diesbezüglich jedoch eine Änderung vorgenommen. Seit dem 1. Juli 2020 gilt die neue Fassung der Heilmittel-Richtline, wonach eine podologische Therapie nun auch bei weiteren, einem DFS ähnelnden Krankheiten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden kann. Die Rechtsdepesche hatte darüber berichtet.
Zu den gemeinten Erkrankungen zählen unter anderem das Querschnittsyndrom und auch sensible oder sensomotorische Neuropathie, sowie ähnliche Sensibilitäts- und Durchblutungsstörungen. Die erweiterte Verordnungsfähigkeit für die podologischen Behandlungen war zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht beschlossen worden, geschweige denn in Kraft getreten. Das Urteil des Bundessozialgericht ist rechtskräftig – wäre heute, allerdings nach der neuen Fassung der Heilmittel-Richtlinie, vermutlich anders ausgefallen.
Der ausführliche Sachverhalt des Urteils ist in der Ausgabe Januar/Februar 2020 der Rechtsdepesche zu finden.