Verantwortung: Das Dilemma von Anordnung und Haftung
Verantwortung steht im Fokus der Aufmerksamkeit! Das Pflegepersonal ist dabei verpflichtet, die Anweisungen der Ärzte sach- und fachgerecht umzusetzen.
Es besteht allerdings die gesetzliche Pflicht, diese zu hinterfragen, wenn die Anweisung von der Pflegefachkraft als nicht sachgemäß und damit als „FALSCH“ angesehen wird.
Dies führt zu einem Kernproblem: Pflegekräfte sind für die sach- und fachgerechte Ausführung der ärztlichen Anweisung verantwortlich, müssen diese aber ablehnen, wenn die Anweisung nach professioneller Einschätzung als fehlerhaft betrachtet wird. Ein „Befehlsnotstand“ schützt das Personal also nicht vor persönlicher Verantwortung und Haftung.
Leitlinien und Standards als Referenzpunkte
Mithin wird erwartet, dass das Pflegepersonal seine Bedenken objektiviert und kommuniziert. Hierbei dienen standardisierte wissenschaftliche Leitlinien als wichtige Referenzpunkte, um das erforderliche Qualitätsniveau festzulegen und die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegepersonal zu verbessern.
Bedeutende Ausarbeitungen in diesem Bereich sind die Expertenstandards des DNQP zur „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ und zur „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ sowie die S3-Leitlinie zur „Lokaltherapie schwerheilender Wunden“ der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. Aus den vorbezeichneten wissenschaftlichen Ausarbeitungen lassen sich allerdings keine klaren Kriterien für die Auswahl von Verbandmitteln ableiten.
Abgesehen von spezifischen Empfehlungen wie der hyperbaren Sauerstofftherapie für Patienten mit diabetischem Fußsyndrom, gibt es kaum eindeutig evidenzbasierte Methoden, die die Verwendung spezifischer Verbandmittel vorschreiben.
Diese Unsicherheiten erschweren es dem Pflegepersonal, fundierte Einschätzungen über die Verwendung spezifischer Verbandmittel zu treffen sowie eine ärztliche Verbandmittel-Anordnung als eindeutig „FALSCH“ zu bezeichnen.
Fehlerhafte und damit „FALSCHE“ Anordnungen sind in der Regel nur solche, die gegen medizinische und pflegerische Grundsätze verstoßen, wie beispielsweise die Missachtung der Hygiene gemäß der Hygienerichtlinie des Robert Koch-Instituts.
Die Rolle der Dokumentation
Die Dokumentation nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle ein. Sie ermöglicht nicht nur den wichtigen und rechtlich gebotenen Informationstransfer zwischen den Behandelnden, sondern bietet auch die Gelegenheit der Nachvollziehbarkeit des Erfolges einer angeordneten Therapiemaßnahme.
Durch eine sachgerechte Wunddokumentation, welche gegebenenfalls die Wundentwicklung durch eine Bebilderung präzisiert, kann die Pflegefachkraft auf Augenhöhe mit dem anweisenden Arzt das Gespräch führen.
Insbesondere bei einer nicht gewünschten Wundentwicklung, können gemeinsam neue Therapieansätze gefunden werden. Nur das verzahnte Zusammenwirken aller Beteiligten kann die Patientengenesung fördern und zur Wundabheilung beitragen.
Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der Wundversorgung ein komplexes Wechselspiel zwischen sozialrechtlichen Verordnungspflichten und haftungsrechtlicher Verantwortung besteht.
Dies erfordert eine klare Kommunikation zwischen den am Wundgeschehen beteiligten Protagonisten, die zu einer fundierten Entscheidungsfindung führt. Nur so kann eine hochwertige und zielführende Patientenversorgung mit echter Verantwortung sichergestellt werden.
4 Kommentare
Lieber Professor Größkopf, ich gebe Ihnen da vollkommen Recht in Ihrer Annahme, jedoch ist dies in der Realität schwer und teils gar nicht umsetzbar. Ich habe in allen möglichen Pflegesettings erlebt, dass bei einer arteriellen Hypertonie, Diabetes Typ 2, Herzinsuffizienz und erster Zeichen einer Minderdurchblutung beginnend in den Großzehen und dessen Nagel von Ärzten eine Kompressionstherapie verordnet wird mit einer CCL 2 also 40–60 mmHg. Ich habe Einrichtungen in denen der Arzt sich trotz Hinweise der Fachkräfte weigert eine adäquate Verordnung auszuschreiben geschweige denn einen Gefäßstatus oder eine ABI-Messung durchzuführen, weil die betroffene Person ja schon alt ist. Sie wissen mit Sicherheit, wie sehr das gegen das ethische Prinzip spricht wie ich. Allerdings hat so manche Einrichtung das Problem, dass der Arzt droht, keine neuen Patienten mehr aufzunehmen und verweigert gegenüber den Angehörigen jegliche Aussage. Teilweise haben diese jedoch die Gesundheitsfürsorge und teils eine gesamte Vollmacht über alles.
Sehen Sie den Konflikt, der zwischen Einrichtungen und dem Arztpersonal besteht? Die Frage, die ich mir Stelle, ist, welche Chance hat denn die Einrichtung bzw. die Pflegefachkraft, dagegenzuhalten? Nimmt sie ihr Remonstrationsrecht und die ‑pflicht war, droht Entzug ärztlicher Behandlung. Das Arztpersonal kann sich vor allem auf dem Land aussuchen, wer versorgt wird. Damit sind Einrichtungen und Fachkräfte außer Gefecht gesetzt und müssen gefährliche Pflege durchführen, weil sonst gar kein Arzt da ist.
Ich unterrichte Bluterkrankungen und gebe Weiterbildungen zum Wundmanagement und auch zu Recht in diesem Bezug. Bei solchen Umständen und Rückmeldungen geht mir der Gesprächsstoff aus. Was bringt es, wenn die Pflegefachkraft weiß, was sie für Rechte und Pflichten hat, sich an diese hält jedoch nichts erreicht, weil der Arzt sich sperrt oder aus Mangel an Zeit oder manchmal auch Wissen?
Die Lage für die betroffenen Patienten oder Bewohnern ist ethisch untragbar und führt zu gefährlicher Pflege mit dem Risiko des Todes. Da ist von meiner Seite nachvollziehbar, warum viele Pflegefachkräfte dies nicht aushalten und erkranken oder kündigen. Sie müssen zusehen, wie Menschen früher sterben, nur weil Ärzte entweder nicht in der Lage sind oder sich weigern für eine adäquate Versorgung zu sorgen.
Was haben Sie in solchen Situationen für einen Rat? Was kann ich den Einrichtungen oder Pflegefachkräften empfehlen, damit es eine realistische Lösung gibt?
Ich freue mich über eine Rückmeldung Ihrerseits und bin für jeden Rat dankbar.
Liebe Grüße an Sie und auch an Herrn Schanz!
Hoch-achtungsvoll Kerstin Streichert
Sehr geehrte Frau Streichert,
herzlichen Dank für Ihre Fallschilderung. Ich hoffe inständig, dass dies eine Ausnahmesituation ist. Die Problematik, welche sie schildern, ist allerdings bekannt. In der Regel funktioniert das Gespräch mit einem aufgeschlossenen Artz. In der Situation, die Sie schildern bleibt nur die Eskaltion. In NRW funktioniert die Einbindung der Krankenkassen als vermittelnder Partner ganz gut. Auch wenn die Krankenkassen selbstverständlich keinen Einfluss auf die ärztliche Therapiefreiheit haben. Trotzdem lassen sich die viele Ärzte hierauf ein. Ich wünsche Ihnen, trotz der widrigen Umstände alles Gute und verlieren Sie nicht den Mut. Wir brauchen angagierte Pflegefachpersonen so wie Sie. Beste Grüße Volker Großkopf
Guten Tag Frau Streichert,
ja es ist in allen Settings leider sehr schwierig, solange die Probleme Delegation-Substitution und die Vorbehaltstätigkeiten nicht oder nicht weitreichend genug geklärt sind.
Was sagt denn die Pflegekammer-NRW zu solchen Fällen?
Lieber Professor Großkopf,
danke für Ihre Worte. Ich habe , im Falle der Einrichtung, in der der Arzt gedroht hat, keine neuen Patienten mehr aufzunehmen, bereits empfohlen sich parallel an die Krankenkasse zu wenden. Außerdem habe ich für die Einrichtung eine evidenzbasierte Empfehlung geschrieben und dies versucht positiv auszudrucken, was mir auch gelungen ist.
Ich habe mich auf den Rahmenvertrag des GBA, HKP-Richtlinie sowie das Praxiswissen der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) bezogen und auf die Wichtigkeit eines Gefäßstatus‘ mit der Ermittlung des ABI-Wertes durch einen Facharzt verwiesen. Ich habe der Einrichtung vorgeschlagen,dieses Schreiben als Standard einzuführen und es bei all jenen betroffen Personen zu nutzen, bei denen ähnliche Umstände herrschen. So wäre wenigstens die Einrichtung und das Personal geschützt. Ich habe Ihnen auch empfohlen, die Angehörigen mit ins „Boot“ zu holen. Mehr kann ich nicht machen.
Was die Kompression bei arterieller Hypertonie und Veränderungen in der distalen und anteeioren Peripherie sowie Kontraindikationen angeht, scheint es selbst in Kliniken gängig zu sein und auf taube Ohren zu stoßen. Es wird von den Fachkräften gehört, jedoch wird es von den Ärzten bisher nicht umgesetzt und oft liegt es in kleinen Dingen begründet und findet seinen Ursprung in der Hausarztpraxis. Der Hausarzt schreibt Irgendwann mal Kompressionsstrümpfe auf, macht es über Jahre, Diabetes entwickelt sich oder ist bekannt und auch die genannten vorherigen Diagnosen bzw. Kontraindikationen erscheinen im Stammblatt.
Was passiert, wenn die Person aufgrund schlechter Blutzuckerwerte eingewiesen wird? Die Person bringt ihre Kompressionsstrümpfe von zu Hause mit, eine Verordnung wird erstellt , weil die Person ja schon Strümpfe mitgebracht hat, es wird nicht mal hinterfragt, ob aufgrund der vorhandenen Diagnosen ein Absetzen der Kompressionstherapie in Betracht gezogen werden sollte. Die Verordnung ist nicht einmal präzise, nur als Kompressionsstrümpfe an- und ausziehen, weiter nichts und das auf einer spezialisierten Station oder Einrichtung mit Fachärzten. Das ist leider kein Einzelfall und durchaus gängige Methode. Über die Hausärzte, die das ganze veranlassen, möchte ich lieber Schweigen, da meine Erfahrung ist, dass diese Kontraindikationen gar nicht kennen.
Liebe Grüße
Kerstin Streichert