Mehr ambulante Behandlungen und dadurch weniger gebundene Kapazitäten in den Bettenabteilungen der Kliniken – beziehungsweise, mehr Zeit für die wirklich wichtigen Fälle: Das ist der Grundgedanke der sogenannten „Ambulantisierung im Gesundheitswesen“. Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, geistert das Schlagwort durch die gesundheitspolitische Debatten, doch nun könnte es einen neuen Anlauf geben, die beiden Sektoren des Gesundheitswesens endlich besser zu verzahnen: Die Ampelkoalition auf Bundesebene will die Ambulantisierung vorantreiben.
Ambulant versus stationär
„Um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG um“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Bündnis 90/Grünen (PDF, Seite 66). Multiprofessionelle, integrierte Gesundheits- und Notfallzentren sollten für eine „wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung“ sorgen; diese wolle man durch spezifische Vergütungsstrukturen fördern. Im ländlichen Raum setze man auf Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen – hier sorgt übrigens ein vielversprechendes Pilotprojekt aus Rheinland-Pfalz seit Jahren für Furore, das auf ein altes, fast vergessenes dezentrales Versorgungsmodell setzt und der große Bundesland-Nachbar NRW möglicherweise übernehmen will.
Ein-Tages-Klinikpatienten sind größte Gruppe
Eine besondere Statistik unterstreicht den Reformbedarf: Seit 2004, der Einführung der sogenannten G‑DRG-Fallpauschalensystems durch die damalige rot-grüne Bundesregierung, sind die Liegezeiten in Krankenhäusern stetig gesunken, von über 13 Tagen zu Beginn der 1990er-Jahre auf nunmehr 7,5 Tage. Erhielten die Krankenhäuser zuvor, sehr salopp gesagt, umso mehr Geld, je länger die Patienten im Klinikum verblieben, bekommen sie nun eine feste Summe für den erbrachten medizinischen Eingriff, unabhängig von der Verweildauer der Behandelten. Dies ist ein Anreiz für die Häuser, ihre Belegungsdauern kurz zu halten. Die Kehrseite: Die Zahl der sehr kurzen Krankenhausaufenthalte steigt rapide an.
Die Zahl der Behandlungsfälle, bei denen Patienten lediglich einen Tag im Krankenhaus verbrachten, stieg zwischen 2006 und 2018 von rund 2,3 auf 3,8 Millionen – ein Anstieg um 65 Prozent! Ein ähnliches, wenn auch leicht abgeschwächtes Bild ergibt sich bei der Anzahl der Patienten, die zwei bis vier Tage verblieben. Erst bei fünf und mehr Tagen kehrt sich der Trend spürbar um. Teilt man alle Behandlungsfälle nach ihrer Liegedauer ein, bilden die Ein-Tages-Klinikpatienten die einfache Mehrheit, also die größte unter allen Gruppen. Besonders hinsichtlich dieser „Klinik-Tagesgäste“ drängt sich die Frage geradezu auf: Warum dann nicht gleich ambulant?
Doch in der Branche sind die Erwartungen gedämpft. „Wir haben große Sorgen, dass wir auch in dieser Legislaturperiode nicht weiterkommen“, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), im Podcast des Fachmagazins f&w. Bund und Länder müssten sich einig werden, wo sie eigentlich bei der Neuaufteilung zwischen Ambulant und Stationär hinwollten, so Gaß weiter.
„Wir predigen seit vielen, vielen Jahren, dass die Krankenhäuser durchaus bereit sind zu Veränderungen, dass wir aber natürlich erwarten, dass man uns auch eine Zielperspektive gibt.“ Laut Ursula Nonnenmacher, grüne Gesundheitsministerin von Brandenburg, sei eine Reform der Finanzierung ein Schlüssel. „Natürlich müssen wir die Fehlanreize des DRG-Systems beheben“, meinte sie. Man brauche Vorhaltepauschalen in manchen Bereichen, damit für den Notfall freigehaltene leere Betten nicht zu finanziellen Nöten bei den Kliniken führten.
Ansatz in NRW: Notdienstversorgung aus einer Hand
Zwei verschiedene Hauptansätze gibt es, die ambulante Versorgung voranzubringen. Nämlich zum einen, diese in den Kliniken selbst zu stärken. Zum anderen, die Krankenhäuser vor allem in ländlichen Regionen in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) einzubinden, wo sie interdisziplinär mit niedergelassener Ärzteschaft zusammenarbeiten.
Weil viele Bürgerinnen und Bürger sich bei einem gesundheitlichen Notfall direkt ein Krankenhaus statt eine ärztliche Notdienstpraxis aufsuchen, liegt gerade hier ein weiterer Schlüssel. In NRW wird die Versorgung nachts und/oder am Wochenende gerade zu einem Portalpraxen-System überführt: Die ärztliche Notdienstpraxis liegt direkt an einem Krankenhaus; dort wird entschieden, ob eine sofortige stationäre Aufnahme notwendig ist oder die Behandlung durch niedergelassene Ärzte weitergeführt werden kann. Kassenärzte und Klinikum organisieren den Betrieb der Klinik-Notdienstpraxis gemeinsam. Dieses „Ein-Tresen-Modell“ soll helfen, Doppelstrukturen von Ärzten und Kliniken in der Notfallversorgung zu vermeiden.
Doch wer weiß: Ein Hintergedanke der angestrebten Ambulantisierung von medizinischen Leistungen könnte auch sein, die – bekanntlich – unter Personalmangel leidende stationäre Krankenpflege von Behandlungsfällen zu entlasten. Dem gestressten Klinik-Pflegepersonal würde es nur recht sein.