Altenpflege
Andrea Würtz in der Katho­li­schen Hochschule Köln Bild: Michael Schanz

Andrea Würtz schil­derte mit chrono­lo­gi­scher Präzi­sion die Geschichte hinter den Ereig­nis­sen des Alten­heim-Pflege­skan­dals. Ihrem Vortrag war eine unglaub­li­che Anein­an­der­rei­hung von Verge­hen und Verbre­chen zu entneh­men, deren straf­recht­li­che Verfol­gung nach nunmehr 3 Jahren noch immer in den Akten der Staats­an­walt­schaft München II ruht.

Insge­samt werden mindes­tens 88 Fälle von schwe­rer Körper­ver­let­zung zur Last gelegt, von denen 17 Vorwürfe als Tötungs­de­likte zur Verfol­gung anste­hen. Das mit dieser Fülle an Straf­ta­ten eine Vielzahl an Sorgfalts­ver­stö­ßen in der Pflege­qua­li­tät einher­ge­hen ist eigent­lich eine traurige Selbst­ver­ständ­lich­keit.

Keine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist jedoch, dass die zur Aufsicht und Kontrolle verpflich­te­ten Stellen über eine lange Zeit hinweg keinen Handlungs­be­darf erkann­ten. Die Einschrän­kung durch die pande­mie­be­ding­ten Sonder­re­ge­lun­gen vermag vor dem Hinter­grund der lebens­ge­fähr­den­den Zustände und massi­ven Quali­täts­män­gel nach Würtz´ Einschät­zung keine Entschul­di­gung zu bieten.

Alten­pflege: Katastro­phale Zustände

Kopfschüt­telnd erfuh­ren die fachkun­di­gen Zuhöre­rin­nen und Zuhörer von illega­len Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­sen, Mäuse­pla­gen, Schim­mel­pilz­be­fäl­len, Dehydra­tio­nen, Mangel­er­näh­run­gen und einer Verge­wal­ti­gung mit Todes­folge; allesamt Vorfälle, denen die behörd­li­chen Begehungs­pro­to­kolle an keiner Stelle gerecht gewor­den sind.

Bemer­kens­wer­ter Weise sei die Schlie­ßung des Heimes erst auf Druck der Medien nach der Kündi­gung des Versor­gungs­ver­tra­ges erfolgt. Dies sei eine unübli­che Reihen­folge und ein Beleg für die Notwen­dig­keit von Zivil­cou­rage. Nur wenn derar­tige Verstöße offen­ge­legt werden würden, kann den Missstän­den in Pfleg­ein­rich­tun­gen Einhalt geboten werden.

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Andrea Würtz im direk­ten Austausch mit den Studen­tin­nen und Studen­ten Bild: Michael Schanz

Das Hinweis­ge­ber­schutz­ge­setz sei in dieser Hinsicht ein Meilen­stein und berge die Hoffnung, dass der Druck auf alle Verant­wort­li­chen in der Pflege­bran­che zur Einhal­tung der Pflege­qua­li­tät in Zukunft steige.

Mit dem Blick auf das Leid der Betrof­fe­nen wurde Andrea Würtz sehr deutlich: „Der Faktor „Zeit“ bzw. das Unter­las­sen der hier zweifels­frei dringend benötig­ten adäqua­ten und anhal­ten­den Sofort­hilfe, bzw. der nicht erfolgte Schutz dieser vulner­ablen Gruppen ist inakzep­ta­bel und in keiner Weise entschuld­bar!“

Die juris­ti­sche Verant­wor­tung

Diese Aussage gab Prof. Großkopf das Stich­wort zur Überlei­tung in den juris­ti­schen Vorle­sungs­teil. In seinen Ausfüh­run­gen beschränkte sich er auf die Skizzie­rung der tatbe­stand­li­chen Voraus­set­zun­gen der Tötungs­de­likte und lenkte hier die Aufmerk­sam­keit zunächst auf die kriti­sche Hürde der Kausa­li­tät, weil der im straf­recht­li­chen Kontext anzule­gende Beweis­maß­stab hier oftmals nicht erreicht werden kann.

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Prof. Dr. Volker Großkopf erläu­tert den wesent­li­chen Paragra­phen 13 im Straf­ge­setz­buch Bild: Michael Schanz

„Hätte der Tod bei einem ordnungs­ge­mä­ßen Verhal­ten mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit abgewen­det werden können?“, lautete die Frage an seine Studie­ren­den, die eine rege Diskus­sion über den Stellen­wert der straf­recht­li­chen Verant­wor­tung von Pflege­dienst- und Heimlei­tun­gen, Pflege­fach­per­so­nal und den Behör­den einlei­tete.

Nach einem mehrheit­li­chen Votum zuguns­ten des Kausa­li­täts­zu­sam­men­hangs wurden Fragen des Vorsat­zes und die Spezia­li­tä­ten des unech­ten Unter­las­sens­de­likts thema­ti­siert.

Die studen­ti­schen Meinun­gen

Während die Annahme des Vorsat­zes für alle Täter­grup­pen von den Studie­ren­den aus den von Andrea Würtz geschil­der­ten Tatum­stän­den für die Studie­ren­den ohne Probleme vorge­nom­men worden ist, nahmen die Beiträge rund um die recht­li­che Proble­ma­tik der Garan­ten­stel­lung im Rahmen des § 13 StGB einen breiten Raum ein.

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Gespannt lauschen die Studen­tin­nen und Studen­ten dem Vortrag Bild: Michael Schanz

Großkopf´s Hinweis, dass die Bewer­tung der Straf­bar­keit wegen eines unech­ten Unter­las­sen­de­lik­tes, hier zum Beispiel wegen Totschlag durch Unter­las­sen, im Medizin­straf­recht aller­dings häufig nur eine Bestra­fung wegen Fahrläs­sig­keit mündet, wurde von der studen­ti­schen Gruppe mit Verwun­de­rung aufge­nom­men.

Seine weiter­füh­ren­den Aussa­gen zum Umfang der Rechts­pflicht zur Verhin­de­rung von Straf­ta­ten fingen die Skepti­ker dann wieder auf.

„Grund­sätz­lich wird man Beschüt­zer­ga­ran­ten­stel­lung für dieje­ni­gen anneh­men müssen, die für die Versor­gung, Betreu­ung und den Schutz der Patien­ten zustän­dig sind“, zitierte Großkopf die führende Meinung in der Rechts­wis­sen­schaft.

Auf die Frage nach der Verant­wort­lich­keit für das Behör­den­ver­sa­gen nahm er Bezug auf § 1 PfleWoqG (Pflege- und Wohnqua­li­täts­ge­setz), wonach unter anderem von der Aufsichts­be­hörde in statio­nä­ren Einrich­tun­gen und sonsti­gen Wohnfor­men eine dem allge­mein anerkann­ten Stand der fachli­chen Erkennt­nisse entspre­chende Betreu­ung und Wohnqua­li­tät für die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner zu sichern ist.

Ob dieser gesetz­li­che Auftrag die Quali­tät einer gesetz­li­chen Garan­ten­stel­lung erfüllt und die Verant­wort­li­chen der Prüfbe­hörde zur Erfolgs­ab­wen­dung hätte veran­las­sen müssen, gab er am Ende seines Vortra­ges den Studie­ren­den als Hausauf­gabe mit auf den Weg.

An der Katho­li­schen Hochschule hat am 22.5.2023 eine bemer­kens­werte Muster­vor­le­sung statt­ge­fun­den, die die in einzig­ar­ti­ger Weise die Aspekte der Pflege­pra­xis, Pflege­wis­sen­schaft und Juris­te­rei an einem aktuel­len Beispiel für „Gefähr­li­che Pflege“ vereinte.