„Ich habe schon damals gedacht: Es fühlt sich gut an, wenn ich Verantwortung übernehme“, erinnert sich Doris Röhlich-Spitzer an ihre Anfänge in der Pflege. Damals, vor vielen Jahrzehnten, als Schülerin, die sich in den Ferien als Aushilfskraft im Seniorenhaus ein paar D‑Mark hinzu verdiente. „Und immer, wenn ich Verantwortung übernehme, bin ich besonders gut.“
Die gelernte Altenpflegerin, studierte Pflegemanagerin und heutige freiberufliche Beraterin und Interimsmanagerin für die stationäre Altenpflege kam für die Lesung ihres Buches zurück an alte Stätte: Im Festsaal-Pavillon auf dem Campusgelände der Sozial-Betriebe Köln (SBK) im Stadtteil Riehl stellte sie mit der Journalistin Anne Krick ihre Biografie „Traust Du Dir das zu? – Mein Leben in der Altenpflege“ vor.
Ein Leben in der Altenpflege
Auf dem großen Gelände des kommunal-städtischen Trägers in der Senioren- und Behindertenarbeit – unweit des Rheins und des Kölner Zoos gelegen, mit rund 1.300 Bewohnerinnen und Bewohnern sowie 25 Hektar parkähnlicher Fläche gilt die volkstümlich nach ihrem alten Namen „Riehler Heimstätten“ genannte Anlage als die größte Senioren-Einrichtung Europas –, war Röhlich-Spitzer einst mit ihrer Familie aufgewachsen, nachdem sie im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie aus der DDR geflüchtet war.
Nun trat sie, die heute in einem anderen Kölner Stadtteil wohnt, am Ort ihrer Kindheit und Jugend wieder auf. Naturgemäß war es auch bei den SBK, wo sie ihre ersten Pflege-Erfahrungen sammelte und schließlich die Ausbildung zur Altenpflegerin machte. In einer SBK-Einrichtung in einem anderen Stadtteil, dem rechtsrheinischen Köln-Mülheim, lernte sie auch die Arbeit mit Menschen mit Behinderung kennen – das Ankommen dort war zunächst hart für sie. „Was mich am meisten getroffen hat, war das Los der Menschen – die beispielsweise durch einen Schicksalsschlag von heute auf morgen querschnittsgelähmt waren. Ich war konfrontiert mit Sehnsüchten und Ängsten.“
Ein Heim-Weihnachtsfest im Hochwasser – Viele Einblicke hinter die Kulissen
Im Jahre 1984 wechselte sie erstmals auf eine Stelle außerhalb der SBK – für eine Leitungsposition in einem Seniorenhaus in der südlichen Kölner Innenstadt. Dort erlebte sie, während des berühmten Kölner „Weihnachts-Hochwassers“ 1993 – als der Rhein über die Ufer trat und Teile der Kölner Altstadt sowie weitere Stadtteile überschwemmte – ein ganz besonderes Fest, das ihr wegen seiner Einzigartigkeit in Erinnerung geblieben ist. „Wir hatten keinen Strom, nur Kerzen. Gerade deshalb war es mein stimmungsvollstes Weihnachtsfest überhaupt; ein Weihnachten in Gummistiefeln und mit Erbsensuppe.
Wir saßen zusammen mit Angehörigen und Bewohnern im großen Saal und sangen gemeinsam Weihnachtslieder“, erzählt sie schmunzelnd. Sie hatte sich nämlich als Leiterin – durchaus nicht ohne Risiko – bewusst gegen eine mühsame und für die Bewohnerschaft einschneidende Evakuierung des Heimes ausgesprochen, und sollte am Ende mit ihrer Lage-Einschätzung Recht behalten. „Die Leute meinten, dass sie in ihrem Leben schon viel Schlimmeres erlebt hätten, und froh seien, dass wir alle zusammen das Fest feiern können.“
In ihrem Buch bietet sie einen ausführlichen Blick hinter die Kulissen einer Seniorenresidenz. Ihr Werk handelt auch vom Aufwachsen zwischen Ordensschwestern und Pflegebedürftigen, dem Finden des eigenen Weges jenseits von Rollenklischees und von ihrem Hereinwachsen in den anspruchsvollen Beruf der Altenpflege. Ihre Geschichte gewährt umfassende Einblicke in die Pflegelandschaft, die sie kritisch, aber konstruktiv kommentiert – und will bestehenden und potenziellen Pflegekräften Mut machen, ihre Aufgaben täglich neu anzunehmen, beziehungsweise den Schritt in den Beruf zu wagen.
Mit ihren Beschäftigten erlebte sie Notfälle wie Feuer und das erwähnte Hochwasser, sowie den ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020. Die Biographie wird ergänzt durch zahlreiche Fotos und aktuelle Hintergrundinfos zu Ausbildung, Pflegeversicherung, Pflegegraden, Gesetzen und Rahmenbedingungen der Pflege.
Wenn im Seniorenheim ein Nachtcafé eröffnet – „Wertschätzung für die Pflege ist gestiegen“
Schon recht bald lernte sie, in der Heimleitung neue Wege zu gehen und auch eingefahrene Strukturen zu hinterfragen. „Nicht jedem Bewohner passt es beispielsweise, um 18 Uhr bereits bettfertig zu sein. Der Tag hat 24 Stunden, und ich versuchte, den Tagesrhythmus der Bewohner zu respektieren.“ In Oldenburg schaute sie sich eine Einrichtungen für Menschen mit Demenz an, die sogar über ein „Nachtcafé“ als Anlaufstelle für Bettflüchter und Schlaflose verfügte.
„Und kurze Zeit später hatten wir bei uns unser eigenes Nachtcafé.“ Überhaupt ist ihr bis heute das gesellschafts- und berufspolitische Engagement sehr wichtig – das rate sie auch allen anderen Pflegenden. „Was mir immer am Herzen gelegen hat, ist die Teilnahme an Aktionen und Veranstaltungen zu berufspolitischen Themen. Ich glaube aber, inzwischen sind wir auf einem guten Weg.“
Es sei enorm wichtig, aufzumucken, mitzumischen und für bessere Bedingungen zu streiten. „Ich glaube, dass seit der Coronapandemie die Wertschätzung für die Pflege gestiegen ist. Wir haben zu lange den Mund nicht aufgemacht, aber inzwischen haben Bevölkerung und Politik verstanden, dass einfach mehr Hände gebraucht werden – auch wenn das viel Geld kosten wird“, ist sie überzeugt.
Ein Beispiel hierfür seien die verbesserten Personalschlüssel und ‑untergrenzen, sowie die reformierte generalistische Ausbildung und die sich langsam bessernde Vergütung. „Ich freue mich sehr über junge Menschen in der Altenpflege“, unterstreicht sie. Für die Zukunft hat sie sich vorgenommen, ihre Lebens- und Berufserfahrung noch viele Jahre weiterzutragen, wozu auch ihr gelungenes Buch beiträgt. Und was schwebt ihr in hohem Alter vor?
Sie selbst würde – sofern es sich einrichten lässt – im Alter am liebsten in einer Wohnung in der Kölner City leben, zusammen mit Gleichgesinnten. Selbstbestimmt, jedoch gut betreut. Ein Wechsel der Stadt komme für sie bei alledem aber nicht in Frage. „Ich bin Köln verbunden; hier ist mein Lebensmittelpunkt“, verkündet sie voller Überzeugung.
Doris Röhlich-Spitzer: „Traust du dir das zu? Mein Leben in der Altenpflege“, edigo-Verlag, Köln 2021. 256 Seiten, ISBN 978–3‑949104–05‑3. Das Buch ist für 20 Euro (inkl. MwSt.) erhältlich.