Schlechte Arbeitsbedingungen, wenig Wertschätzung, chronische Unterbesetzung auf den Stationen, wenig Freizeit durch ständiges Einspringen-Müssen, eine eher maue Bezahlung und ein verbesserungswürdiges Arbeitsumfeld: Angesichts der meist schwierigen Bedingungen auf den Stationen denken nicht wenige Pflegekräfte über eine berufliche Zukunft jenseits des deutschen Gesundheitssystems nach.
Wie das Statistische Bundesamt 2010 in einer Modellrechnung hochrechnete, sollten binnen zehn Jahren rund 152.000 ausgebildete Pflegekräfte aus Deutschland abgewandert sein. Neuere Zahlen oder Berechnungen gibt es nicht – schade, denn dieser Befund wäre hochinteressant. Schließlich ist die Personallücke in der Pflege bekannt – und eine zusätzliche Abwanderung von fertigen Kräften verschlimmert die Lage noch.
Überwiegend positive Erfahrungen von deutschen Pflegenden in der Schweiz
Als beliebte Zielländer im benachbarten Ausland gelten die Schweiz und Österreich, das Vereinigte Königreich, die Niederlande, Norwegen und Schweden. Allesamt Länder mit einem vergleichbaren oder höheren Lebensstandard wie in Deutschland, sowie mit bereits vertrauten oder für deutschsprachige Auswanderer relativ leicht zu erlernenden Sprachen. Gerade die Schweiz punktet mit einer besseren Personalsituation und höheren Gehältern. „Ich bin seit neun Jahren in der Schweiz und würde nicht mehr zurückgehen“, zitiert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) eine ins südliche Nachbarland ausgewanderte Pflegerin.
Besonders die lukrativere Vergütung, die bessere Personalbesetzung und das höhere Ansehen der Pflege im Nachbarland würden von den deutschen Zugewanderten gelobt. Zu den Schattenseiten – nicht nur für zugewanderte Pflegekräfte – gehöre die in den vergangenen Jahren gestiegene Fremdenfeindlichkeit und ein diffuses Gefühl der Ablehnung. Laut des schweizerischen Bundesamtes für Statistik machen Deutsche mit rund 310.000 Personen mittlerweils die zweitgrößte Gruppe der Wohnbevölkerung aus dem Ausland aus – knapp hinter Italien, und vor Portugal sowie Frankreich.
Deutschlands Nachbarländer haben unterschiedliche Vorzüge – und Nachteile
Bereits 2017 hatten sich Britta Zander und Reinhard Busse von der Technischen Universität (TU) Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, im Rahmen des deutschen Beitrags zur internationalen Krankenhausstudie „RN4CAST“ (Registered Nurse Forecasting) dem Thema der Abwanderung von Pflegekräften gewidmet. Auf ihrer Website „Pflege wandert aus“ haben sie anhand der Umfrage-Ergebnisse unter Beschäftigten in Kliniken aus der Studie die Bedingungen in der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen und Schweden mit jenen in Deutschland.
Die Stärken der Länder sind dabei unterschiedlich: Punktet Norwegen mit einem besonders niedrigen Personal-Betreuten-Verhältnis und einem guten Arbeitsumfeld, sind es in der Schweiz vor allem die Gehaltshöhe und die empfundene Wertschätzung als Pflegekraft. In den Niederlanden dagegen war der Anteil derjenigen am geringsten, die Burnout-Symptome bei sich bejahten.
„In einigen europäischen Ländern, die hierzulande als interessante Zielländer für Pflegekräfte gelten, schätzt das dortige Personal die Situation zum Teil deutlich besser ein als Pflegekräfte hier“, schreibt Zander in ihrem Fazit. „Andererseits lassen sich nicht in allen ‚Wunsch‘-Auswanderungsländern jegliche Hoffnungen und Erwartungen an bessere Arbeitsbedingungen erfüllen.“ Immerhin: In der Gesamtbetrachtung schneidet Deutschland im Vergleich zu seinen fünf untersuchten Nachbarländern in den Kriterien zwar insgesamt unterdurchschnittlich, jedoch auch nicht hoffnungslos schlecht ab.
Ein Arbeits-Auslandsaufenthalt auf Zeit kann hilfreich sein
Wer einen beruflichen Wechsel ins Ausland ernsthaft in Erwägung zieht, sollte sich deshalb zuvor gründlich informieren: Neben den genannten „harten Faktoren“ sind auch die „weichen“ Kriterien nicht zu unterschätzen: Gefällt einem das jeweilige Klima – man denke etwa an die heißen Sommer in Südeuropa oder die kalten, dunklen Winter in Skandinavien? Liegt einem die Sprache, und ist man zum Lernen oder Auffrischen bereit? Mag man die Lebensart, Mentalität oder Kultur im jeweiligen Zielland?
Ein guter Tipp, um das auszutesten, ist ein „Wechsel auf Zeit“ ins Ausland – etwa im Rahmen eines Work-and-Travel-Programms, einem Zeitvertrag, sowie – gerade für jüngere Menschen vor oder kurz nach dem Berufseinstieg – Praktika oder Freiwilligendiensten. Auf zahlreichen Portalen, siehe etwa hier, gibt es Infos über verschiedene Modelle und Möglichkeiten. In einem früheren Artikel-Dossier haben wir uns bereits mit dem Arbeitsmarkt und den Perspektiven in Spanien für deutsche Pflegekräfte beschäftigt, sowie den dortigen regionalen Unterschieden in Gehaltshöhe und Arbeitslosenquote.
Zumindest formelle Probleme dürften deutsche Pflegekräfte, die ins nahe europäische Ausland auswandern, nicht bekommen: Durch die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG, die 2005 in Kraft getreten ist, haben sich die Mitgliedsländer verpflichtet, ihre Berufsanschlüsse in vergleichbarer Form gegenseitig anzuerkennen – und auch mit dem Nicht-EU-Land Schweiz existiert ein solches Abkommen.
Jedoch geht es nicht ganz ohne „Papierkram“: Von Land zu Land unterschiedlich, müssen Abschlüsse eingereicht werden, gegebenenfalls in die Sprache des Ziellandes übersetzt und beglaubigt. Auf dem Weg zum erhofften Arbeitsplatz jenseits der deutschen Pflegemisere dürfte das Hindernis aber überwindbar sein.