In der Sprechstunde: Plötzlich ein Rechtsproblem
Erscheint ein alkoholisierter Patient in der Sprechstunde, kann dies – neben dem anzunehmenden Behandlungs-Hemmnis durch eine verminderte Aufnahme- und Einsichtsfähigkeit des Patienten – zu einer rechtlichen Problemlage für den Behandler führen.
So stellt sich Frage, was zu tun ist, wenn zu befürchten ist, dass der Patient für seinen Rückweg von der ärztlichen Praxis ein Kraftfahrzeug nutzen wird, obwohl er hierzu offenkundig nicht mehr in der Lage ist?
In diesem Fall ist besondere Vorsicht angebracht. Es empfiehlt sich, die Einsichtsfähigkeit sowie Einsichtswilligkeit des Patienten zu ergründen.
Stellt der Arzt dabei fest, dass sein Patient Alkohol getrunken hat, aber der Aufklärung noch folgen kann und auch die Risiken einer Entlassung im alkoholisierten Zustand aus der Behandlung versteht, kann der Patient mit eindringlichen Warnungen und der Anweisung zum zeitweisen Verzicht auf das Führen von Kraftfahrzeugen entlassen werden.
Eine genaue Dokumentation, vom Vorliegen der Einsichtsfähigkeit sowie Urteilsfähigkeit, ist empfehlenswert, ebenso die Anwesenheit eines Zeugen. Weitere Schritte, etwa die Information des Gesundheitsamtes, des Amtsarztes oder der Straßenverkehrsbehörde sind im Fall eines erkennbar einsichtigen Patienten hingegen nicht zu unternehmen.
Alkoholisierter Patient: Arzt darf Behandlung auch ablehnen
Kommt der Arzt hingegen zu dem Schluss, dass der alkoholisierte Patient die ärztlichen Warnhinweise ignorieren wird, stellt sich die Situation komplizierter dar.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Arzt die Behandlung eines Kraftfahrers nach der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ablehnen darf, wenn er Zweifel hat, ob das erforderliche Vertrauensverhältnis zustande kommen kann und er das alkohol- (oder drogen-)induzierte Behandlungsrisiko deshalb nicht übernehmen will (siehe Anlage 4 zu § 11 FeV, § 13 FeV).
Übernimmt der Arzt hingegen die Behandlung, entsteht damit einerseits eine strafrechtliche relevante Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährdendem Tun und andererseits eine am Maßstab der Verkehrsmedizin zu orientierende zivilrechtliche Sorgfaltspflicht zur Gefahrenabwehr im Straßenverkehr durch Anwendung von medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen bei verkehrsrelevanten Gesundheitsstörungen.
Schweigepflicht des Arztes
Diesen Verantwortungen steht die Pflicht des Arztes zur Verschwiegenheit gemäß § 201 Absatz 1 Nummer 1 StGB gegenüber, nach der ein Arzt ohne Einverständnis des Patienten keine ihm in seiner beruflichen Praxis bekannt gewordenen Mängel – auch solche aufgrund von Alkoholproblemen – weitergeben darf.
Das Spannungsverhältnis dieser Pflichten löst sich am Maßstab des Rechtfertigen Notstandes gemäß § 34 StGB auf.
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
§ 34 StGB, Rechtfertigender Notstand
Ein Arzt kann hiernach – trotz seiner Schweigepflicht – nach Abwägung der widerstreitenden Interessen und Pflichten berechtigt sein, die Verkehrsbehörde zu benachrichtigen.
Voraussetzung hierfür ist, dass es sicher erscheint, dass sein Patient unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug führen wird und damit sich selbst oder unbeteiligte Verkehrsteilnehmer in erheblicher Gefahr bringen könnte.