Ob Einzeltäter oder gewerbsmäßig im großen Stil, von Luftleistungen über Bestechung bis Urkundenfälschung: Betrug und Korruption machen auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt.
Allein die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten der AOK Rheinland/Hamburg befasste sich gemäß ihres jüngsten Tätigkeitsberichtes in den Jahren 2022 und 2023 mit insgesamt 1.485 Fällen, die dem Bericht zufolge einen Schaden von 4,87 Millionen Euro verursacht haben.
Der größte Schaden in Höhe von 3,46 Millionen Euro ist dabei im Bereich Arznei- und Verbandsmittel entstanden. Die häusliche Krankenpflege schlug mit einem Schaden von 1,01 Millionen zu Buche.
Eine andere Krankenkasse, die KKH, ging im Jahr 2022 von einem Schaden von mehr als 1 Million Euro durch Betrugsfälle aus. Anders als bei der AOK Rheinland/Hamburg, wurden diese größtenteils in den Leistungsbereichen Krankengymnasten- und Physiotherapiepraxen verursacht, gefolgt von Zahnärzten, Pflegeheimen und Arzneimitteln.
Eine weitere Dimension zeichnet die offizielle Kriminalstatistik: In den letzten 20 Jahren ist demnach deutschlandweit ein Schaden von 1,13 Milliarden Euro durch Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen entstanden.
Gesetzliche Kranken- und Pflegekassen sind seit 2004 verpflichtet, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten. Diese Stellen prüfen Hinweise, die ihnen gemäß § 197a Absatz 2 SGB V gemeldet werden können. Sie ermitteln und informieren die Staatsanwaltschaft, sofern sich der Anfangsverdacht auf eine Straftat größeren Ausmaßes, wie Abrechnungsbetrug oder Korruption, erhärtet.
Abrechnungsbetrug leicht gemacht
Ein Flug durch die Medienberichte der letzten Monate zeigt, wie breit das Feld der Betrügereien gefächert ist: Erfundene Diagnosen und Behandlungen bei gesetzlich Versicherten, die im Gegensatz zu privat Versicherten ihre Arztrechnungen nicht zu sehen bekommen und somit nicht nachvollziehen können, welche Leistungen abrechnet werden. Hör- und Allergietests, Vorsorgeuntersuchungen oder Belastungs-EKGs, die nie stattgefunden haben. Arztgespräche, die nie geführt wurden.
Die Täter sind dabei nicht nur im direkten medizinischen Umfeld zu finden, oftmals werden die Schäden auch durch Dritte verursacht, die zum Beispiel Rezepte fälschen, um an abhängig machende Medikamente zu gelangen.
Bei der AOK ist die Zahl der neuen Fälle im Vergleich zum Zeitraum 2021 und 2022 leicht gestiegen: Von 590 auf 669, sprich 78 Fälle. Das mag auf den ersten Blick nicht viel erscheinen, in der Ermittlungsarbeit aber kann jeder einzelne Fall Ausmaße annehmen, die Kapazitäten über Jahre binden.
„Die Straftaten werden komplexer“, sagt auch Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland /Hamburg. Wie viele andere Branchenexperten, fordert er auf Betrug und Korruption spezialisierte Einheiten bei Polizei und Justiz.
Die Wichtigkeit von Spezialisten „in den Bereichen der medizinischen Abrechnung, der IT-Forensik und bei der Kriminalpolizei deutschlandweit“, betonte auch die Juristin Dina Michels in der Mitteilung zum Ermittlungsstand bei der KKH.
Strafverfolgung dauert oft Jahre
Ermittlungsarbeit erfordert Akribie und Zeit, wie bei der AOK auch die verhältnismäßig hohe Anzahl an Bestandsfällen zeigt: Mit 816 von 1.485 machten sie im neuesten Bericht mehr als die Hälfte aus.
Die AOK und andere Brancheninstitutionen gehen im Allgemeinen von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. Dunkelfeldstudien, die Aufschluss über Dimensionen und Bekämpfung geben und andere Maßnahmen, wie zum Beispiel Anpassungen beim Datenschutz, die den Austausch zwischen Kranken- und Pflegekassen, Rentenversicherungsträgern und Jobcentern im Verdachtsfall erlauben, werden seit Jahren gefordert.
Schaden in Luft aufgelöst
Komplexe Fälle, bürokratischen Hürden, fehlende Spezialisten – wie sich vor diesem Hintergrund ein Schaden buchstäblich in Luft auflösen kann, zeigt ein aktueller Fall, der vor dem Erfurter Landgericht wegen gewerbsmäßigem Betrug verhandelt wird: Einem Arzt aus Weimar und seiner Praxismanagerin wird vorgeworfen, rund eine halbe Million Euro über nicht erbrachte Leistungen kassiert zu haben.
Der Verdacht bestand erstmals 2015, konnte aber erst 2018 zur Anklage gebracht werden, die Verhandlung aus Auslastungsgründen des Gerichtes erst im Dezember 2023 beginnen. Knackpunkt: Die ursprüngliche Schadensumme von einer halben Million Euro hat sich aufgrund von Verjährungsfristen zwischenzeitlich so gut wie halbiert auf 270.000 Euro.
Andere Taten sind dagegen leicht zu enttarnen, zum Beispiel solche, bei denen Vorsorgeuntersuchungen an Feiertagen oder Medikamente für bereits verstorbene Patienten abgerechnet werden.
Schaden trägt die Solidargemeinschaft
Im Großen wie im Kleinen: Das Nachsehen hat die Solidargemeinschaft, den der Schaden durch Betrug und Korruption im Gesundheitswesen schlägt sich letztendlich in den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nieder. Betrug kann aber auch direkte Folgen für den Einzelnen haben, etwa wenn durch eine falsch vermerkte Diagnose der Abschluss einer Versicherung behindert wird.
Im Bereich der Pflege kann es sogar gefährlich werden, wenn Pflegebedürftige nicht fachkundig versorgt werden, zum Beispiel in dem eine nicht adäquat qualifizierte Person Injektionen verabreicht.
FAQ
Um welchen Schaden geht es?
Abrechnungsbetrug und Korruption verursachen im Gesundheitswesen jährlich Schäden in Millionenhöhe. Tätigkeitsberichte der gesetzlich verankerten Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten der Krankenkassen geben Aufschluss über das Ausmaß.
Wie wird der Schaden verursacht?
Zum Beispiel mit erfundenen Diagnosen oder Leistungen, die nicht erbracht, aber abgerechnet werden, Rezeptfälschungen oder dem Einsatz von nicht fachkundigem Personal.
Wer trägt den Schaden?
Letztendlich die Solidargemeinschaft mit höheren Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Betrug kann aber auch direkte Folgen für den Einzelnen haben und Pflegebedürftige ernsthaft in Gefahr bringen.
Fazit
Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen verursachen jährlich Schäden in Millionenhöhe, die zu Lasten der Solidargemeinschaft gehen. Die Fälle werden immer komplexer, zur besseren Bekämpfung fordern Branchenexperten Spezialeinheiten bei der Justiz und Polizei, Dunkelfeldstudien und Erleichterungen beim Datenschutz.
Quellen: AOK Rheinland, KKH, SWR, MDR, GKV-Spitzenverband