Professor Dr. Volker Großkopf ist Rechtsanwalt mit fachlicher Spezialisierung auf das Gesundheitswesen. Im Jahre 2003 gründete er gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Schanz den G&S‑Verlag, in welchem seither die Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen erscheint. Zudem ist er als Professor an der Katholischen Hochschule in Köln verantwortlich für die Module „Rechtwissenschaften“ und ist Inhaber der PWG-Seminare sowie Kongresspräsident der Pflegekongresse JHC (JuraHealth Congress) und IWC (Interdisziplinärer WundCongress). Im folgenden Beitrag hat sich Prof. Großkopf den Fragen der Redaktion bezüglich seines Werdegangs und seiner Meinung zur Zukunft der Pflege gestellt.
Rechtsdepesche: Prof. Großkopf, Sie begannen Ihren Werdegang mit dem Studium der Rechtswissenschaften. Wieso wandten Sie sich nach Ihrem Studium speziell dem Gesundheitsrecht zu?
Prof. Dr. Volker Großkopf: Das ist tatsächlich etwas ungewöhnlich, insbesondere da man im Studium mit dem Thema Gesundheitsrecht so gut wie gar nicht konfrontiert wird. Ich habe mein Erstes Staatsexamen zu einer Zeit gemacht, in der man noch eine relativ lange Wartephase bis zum Beginn der Refrendarzeit hatte. Da habe ich mich entschieden, mich an Krankenpflegeschulen als Lehrer zu verdingen. Bei der Landesklinik und bei der Uniklinik Bonn habe ich mich intensiv mit den rechtlichen Fragestellungen des Gesundheitsrechts und insbesondere des Pflegerechts auseinandergesetzt. Das hat schlussendlich dazu geführt, dass ich in meiner anwaltlichen Praxis, die sich an mein Zweites Staatsexamen anschloss, relativ viele Fälle aus dem Arzt- und Pflegehaftungsbereich erhalten habe. Da ist dann die Spezialisierung auf dieses Gebiet entstanden. Ich habe dann eine ganze Reihe von Aufsätzen in unterschiedlichsten Fachzeitschriften geschrieben und später dann gemeinsam mit meinem Kollegen Hubert Klein das Buch „Recht in Medizin und Pflege“ geschrieben, welches mittlerweile in der fünften Auflage erschienen ist.
Rechtsdepesche: Ihre Kongresse, Ihr Verlag und Ihre Tätigkeit als lehrender Professor an der Katholischen Hochschule Köln zielen allesamt auf die Weitergabe von fachlichem und juristischem Wissen an nicht-juristische Personen, darunter auch Ärzte und Pflegekräfte, ab. Was motiviert Sie, Ihre Studenten und die Menschen aus dem Pflegeberuf über die rechtlichen Tücken des Gesundheitswesens zu unterrichten?
Großkopf: Es macht mir zum einen wirklich Spaß, Wissen an andere Menschen heranzutragen. Und gerade im Gesundheitssektor ist es mir sehr wichtig, die elementaren Grundsätze, wie zum Beispiel die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, an die dort handelnden Protagonisten vor Ort heranzutragen. Man muss ja davon ausgehen, dass man selbst in nicht all zu weit entfernter Zukunft vielleicht pflegebedürftig oder in einer Gesundheitseinrichtung untergebracht wird. Dann ist man sehr dankbar, wenn dort nach den rechtlichen Gegebenheiten verfahren wird. Zum anderen haben alle, die dort arbeiten – seien es Ärzte, Pflegekräfte oder andere Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen – ja ein Ziel vor Augen: Den Gesundheitsschutz der betroffenen Patienten und Bewohner zu wahren und zu schützen. Da ist es natürlich wichtig, die rechtlichen Fragestellungen, die zum Teil doch etwas kompliziert sind, zu kennen, um dann rechtssicher und gelassen am Patienten oder Bewohner die Arbeit verrichten zu können.
Rechtsdepesche: Was meinen Sie, bei welchem Thema aus dem Gesundheitswesen herrscht nach wie vor besonderer Aufklärungsbedarf?
Großkopf: Ich habe es gerade ja schon angedeutet: das ist der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Da ist es mir ganz wichtig, an die dort handelnden Personen den Grundsatz heranzutragen, dass ohne die Zustimmung des Patienten eine Maßnahme, sei es medizinischer oder pflegerischer Natur, am Patienten nicht vollzogen werden darf, sondern dass der Patient tatsächlich Herr des Verfahrens ist. Wenn man diesen Grundsatz berücksichtigt, hat man eigentlich schon ganz viel gewonnen. In dem Zusammenhang ist natürlich wichtig, dass der selbstbestimmte Patientenwille voraussetzt, dass der Patient auch einsichtsfähig ist, also in der Lage ist, Schwere und Tragweite der Maßnahme bewerten und beurteilen zu können und dass er zum anderen auch über Risiken und Nebenwirkungen und ggf. auch über die Folgen einer Verweigerung einer Maßnahmen entsprechend aufgeklärt und informiert worden ist. Nur so kann der mündige Patient sein Selbstbestimmungsrecht ausüben.
Rechtsdepesche: Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, die Gesellschaft in Deutschland altert zunehmend. Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln könnten bundesweit bis zum Jahr 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen. Können Sie uns eine Prognose geben, wie die Pflege in 15 Jahren aussehen mag.
Großkopf: Das ist ein ganz, ganz großes Problem. Dem versucht man auf unterschiedlichste Art und Weise Herr zu werden, indem man Aufgabenmigration vollzieht. Man versucht also Aufgaben zu delegieren, vom Arzt auf die Pflege, von der Pflege auf die Hilfskräfte, von Hilfskräften auf andere. Jedoch bringt die Delegation vom Arzt auf die Pflege relativ wenig, da wir wenig Ärzte haben und natürlich auch wenig Pflegekräfte. Das heißt, wir müssen viele pflegerische Aufgaben an Hilfskräfte weiterreichen, was ggf. zu einer Deprofessionalisierung der Pflege führen kann.
Daneben gibt es die Möglichkeit der sogenannten Personalmigration. Man versucht, aus dem Ausland Pflegekräfte nach Deutschland zu überführen. Das ist natürlich auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Auf der einen Seite sind da natürlich die Sprachbarrieren. In anderen Branchen mögen sie weniger ein Problem sein, doch im Gesundheitswesen ist das etwas anders. Dort muss die deutsche Sprache sowohl verstanden als auch gesprochen werden können, denn nur über die Sprache kann man sich mit dem Patienten austauschen. Daneben sind natürlich auch die Aufgabengebiete in Deutschland durchaus anders geartet als in anderen Ländern der Welt und auch der EU, wo die Pflege als voll akademisierter Beruf deutlich professionalisierter aufgestellt ist. Viele Pflegekräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, sind oft sehr enttäuscht über die Arbeiten, die sie hier verrichten müssen. Viele verlassen daraufhin wieder das Land. Personalmigration gelingt also nur zum Teil. Man muss natürlich auch herausstellen, dass wir auch nicht andere Länder leerfegen dürfen und die dort notwendigen Pflegekräfte abziehen können, um unseren eigenen Missstand zu beheben.
Eine Möglichkeit wäre, das Rentenalter hochzusetzen. Die demografische Entwicklung könnte abgefedert werden, wenn man das Rentenalter auf über 70 anheben würde. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge mal gestorben sind, nivelliert sich das Problem überwiegend. Das Hochsetzen des Rentenalters könnte tatsächlich zu einer Entstressung der Gesamtsituation führen. Ob das politisch und gesellschaftlich durchsetzbar ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Und dann muss natürlich der Pflegeberuf attraktiver gestaltet werden. Ich denke nicht, dass das Gehalt der ausschlaggebende Punkt ist. Ich glaube, dass die Arbeitsbedingungen dazu führen, dass die Leute in kürzester Zeit ausgebrannt sind und den Beruf daraufhin vorzeitig verlassen. Hier müsste angesetzt werden. Wie das gelingen mag, da sind ja die ersten Versuche zugange, zum Beispiel indem man die Arbeitszeit reduziert oder versucht, Stationen mit dem notwendigen Personal auszurüsten. Aber wenn kein Personal da ist, dann ist das natürlich ein Wunschdenken. Daher muss hier ein ganzheitliches Umdenken stattfinden.
Zwei Punkte, die noch zu berücksichtigen wären: Zum einen glaube ich, dass der technische Einsatz in Zukunft deutlich anwachsen muss, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Das wird auch Thema auf der diesjährigen Pflegefortbildung des Westens sein, auf der beim Innovationsforum zwölf Unternehmen spannende Innovationen im pflegerischen Umfeld vorstellen werden. Zum anderen müssen wir schauen, wie sich die Pharmazie in den nächsten zehn, zwanzig Jahren entwicklen wird. Wenn man irgendwann vielleicht ein Medikament haben wird, das die Demenz-Krankheit abmildert oder sogar komplett ausmerzen kann, hätte man schon einiges gewonnen, denn gerade diese Patienten sind natürlich höchst pflegeintensiv.
Rechtsdepesche: Zum Abschluss noch ein Blick in die bundesdeutschen Gerichtssäle. Welches sind, Ihrer Meinung nach, die größten Meilensteine in der Rechtsprechung, die in der jüngsten Vergangenheit zu verzeichnen sind?
Großkopf: Da gibt es eine wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu freiheitsentziehenden Maßnahmen, die für sehr viel Unruhe gesorgt hat. Es ging darum, dass das Betreuungsgericht um eine Genehmigung ersucht werden muss, wenn Patienten länger als eine halbe Stunde fixiert werden. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lagen Fünf- oder Siebenpunktfixierungen zugrunde. Um eine Kontaktaufnahme des Betreuungsgerichts zu ermöglichen, hat dies dazu geführt, dass sich die Arbeitszeiten in den deutschen Gerichten geändert haben und man dort sogenannte Bereitschaftsdienste einrichten musste. Zwischen 6 und 21 Uhr hat also immer ein Richter zur Verfügung zu stehen, der eine Genehmigung oder Nicht-Genehmigung einer Fixierungsmaßnehme zu entscheiden hat.
Ferner gibt es noch eine jüngere Entscheidung des Landgerichts Nürnberg zur Zwangswäsche. Das Gericht hat gesagt, dass auch bei einem demenziell erkrankten Patienten nicht gegen seinen natürlichen Willen gehandelt werden darf; in diesem Fall mit einer Zwangswaschung. Das fand ich eine sehr instruktive Entscheidung, welche nochmals den Patientenschutz sowie das Selbstbestimmungsrecht hervorhebt.