Zeitarbeit
Zeitar­beit oder Leihar­beit – wie man es dreht und wendet, es bleibt das Gleiche. Bild: Frank Harms/Dreamstime.com

#1: Was ist Zeitar­beit genau?

Zeitar­beit, auch Arbeit­neh­mer­über­las­sung oder Leihar­beit genannt, ist ein beson­de­res System der Beschäf­ti­gung. Der Arbeitnehmer:in schließt hierbei einen Arbeits­ver­trag mit einem Zeitar­beits-Unter­neh­men. Dieses schickt seine Beschäf­tig­ten dann zum Arbeits­ein­satz in Betriebe, die leihweise Arbeits­kräfte anfor­dern – klassi­scher­weise, um vermehrte Perso­nal­aus­fälle oder Bedarfs­spit­zen abzufe­dern.

Der Arbeits­ver­trag besteht also – im Unter­schied zur Festan­stel­lung – nicht mit dem Unter­neh­men, in dem man (gerade) einge­setzt ist. Einfach gespro­chen, gibt es zwei Verträge im Hinter­grund: der Arbeits­ver­trag zwischen dem Zeitar­beits-Unter­neh­men und dem / der Beschäf­tig­ten, sowie den Arbeit­neh­mer-Überlas­sungs­ver­trag zwischen der Zeitar­beits­firma und dem anfor­dern­den Unter­neh­men.

In Deutsch­land regelt die Zeit- oder Leihar­beit das 1972 verab­schie­dete Arbeit­neh­mer-Überlas­sungs­ge­setz, das seitdem mehrfach geändert wurde.

Seit 2017 gilt eine wichtige Neuerung: Höchs­tens 18 Monate dürfen die Beschäf­tig­ten in ein- und demsel­ben Betrieb einge­setzt sein. Wie bei einem „klassi­schen“ Arbeits­ver­trag, sind in der Zeitar­beit sämtli­che Stunden­mo­delle möglich – von der Voll- über die Teilzeit­stelle bis zur gering­fü­gi­gen Beschäf­ti­gung.

#2: Wie viele Zeitar­beits-Beschäf­tigte gibt es insge­samt, und wieviele in der Pflege?

Laut der Statis­tik der Bundes­agen­tur für Arbeit waren – nach den aktuells­ten vorlie­gen­den Zahlen von Juni 2022 – von den insge­samt 38,8 Millio­nen Beschäf­tig­ten in Deutsch­land knapp 835.000 über einen Zeitar­beits­ver­trag angestellt [Excel-Datei]. Dies entspricht einer Quote von 2,2 Prozent.

Spezi­ell in der Pflege gibt es laut der Statis­tik rund 26.500 Zeitar­beit­neh­mer Gesund­heits- und Kranken­pflege, Rettungs­dienst und Geburts­hilfe; knapp 17.000 in der Alten­pflege. Dies entspricht einem Anteil von rund 2,7 Prozent an der Gesamt-Arbeit­neh­mer­schaft in der Alten­pflege.

In der Kranken­pflege lässt sich der Anteil nicht ganz genau bestim­men, weil in der Berufs­grup­pen-Zahl von rund 26.500 Beschäf­tig­ten auch Angehö­rige von Geburts­hilfe und Rettungs­dienst enthal­ten sind. Der Zeitar­beits-Anteil in der Kranken­pflege dürfte aber ebenfalls bei 2,5 bis 2,7 Prozent liegen – je nachdem, welche Bezugs­größe man zugrunde liegt, ob mit Rettungs­dienst und Geburts­hilfe oder ohne.

Inter­es­sant hierbei: Während die Gesamt­zahl aller Leihar­beits­kräfte seit 2017, als ein Höchst­stand von über einer Million Beschäf­tig­ten verzeich­net wurde, deutlich zurück­ge­gan­gen war, stieg sie in der Pflege – wie die „Süddeut­sche Zeitung“ in Bezug auf eine Anfrage der Links­frak­tion im Bundes­tag berich­tet – um knapp 14.000 Beschäf­tigte oder 46 Prozent.

Bundes­weit habe es insbe­son­dere im Jahr 2022 einen sprung­haf­ten Anstieg gegeben: in der Kranken­pflege um fast zehn Prozent, in der Alten­pflege sogar um 23 Prozent.

Noch deutli­cher sieht es über einen länge­ren Betrach­tungs­zeit­raum aus: „Seit 2013 hat sich die Zahl der Alten­pflege-Fachkräfte in Zeitar­beits­fir­men mehr als verfünf­facht (plus 428 Prozent), in der Kranken­pflege im gleichen Zeitraum mehr als vervier­facht (plus 315 Prozent)“, schreibt der WDR in Bezug auf Zahlen der Bundes­agen­tur für Arbeit.

#3: Was sind die Vorteile der Zeitar­beit?

Dass die Zahl der Beschäf­tig­ten in der Pflege auf Zeitar­beits-Basis zunimmt, ist kein Zufall: Mehrere Fakto­ren machen die Zeitar­beit in der Pflege populär.

Im Gegen­satz zu manch anderen Branchen, wo Zeitar­beit mitun­ter der Ruf als „Billig­ar­beit“ anhaf­tet, sind die Zeitar­beits-Entgelte in der Pflege tenden­zi­ell überta­rif­lich, oft deutlich höher als bei einer klassi­schen Festan­stel­lung in der Einrich­tung. Hinzu kommen häufig Extras wie ein Dienst­wa­gen oder ein betrieb­li­ches Mobil­te­le­fon.

Zudem sind die Arbeits­zei­ten verläss­lich, Beschäf­tigte haben mehr Mitspra­che­rechte bei der Dienst­plan-Aufstel­lung – da der Träger kein „direk­tes“ Weisungs­recht der Leihar­beits­kraft gegen­über hat.

Zudem lässt sich, je nach persön­li­chem Bedarf und der momen­ta­nen Lebens­si­tua­tion, das gewünschte Arbeits­pen­sum leicht erhöhen oder verrin­gern. Auch die Möglich­keit, im Laufe der Zeitar­beits-Tätig­keit verschie­dene Einrich­tun­gen kennen­zu­ler­nen, mögen manche zu schät­zen wissen.

Ein Beispiel aus der Praxis ist das aufs aufs Gesund­heits- und Pflege­we­sen sowie auf Pädago­gik spezia­li­sierte Unter­neh­men avanti GmbH, Themen­part­ner von RDG Online für das Ressort Perso­nal.

Wie avanti-Geschäfts­füh­rer Matthias Hiepko bei der Winter­aka­de­mie 2023 auf Gran Canaria vortrug, sei seit seiner Gründung im Jahr 2000 von einem auf mittler­weile 30 Nieder­las­sun­gen in Deutsch­land und Öster­reich und 2.158 eigene Beschäf­tigte gewach­sen; 2021 seien allein 712 zu vermit­telnde Arbeits­kräfte neu ins Unter­neh­men gekom­men; im Jahr 2022 waren es sogar 1.276.

Ganz gezielt setzt das Unter­neh­men dabei auf attrak­tive Arbeits­be­din­gun­gen für seine Beschäf­tig­ten: Einige Benefits sind der Dienst­wa­gen, Fort- und Weiter­bil­dun­gen, eine überta­rif­li­che Bezah­lung, bei den avanti-Partnern im Einzel­han­del einlös­bare Gutschein­kar­ten und Mitar­bei­ter-Rabatte bei verschie­de­nen Läden, die Dienst­plan- und Urlaubs­mit­ge­stal­tung, Firmen­ver­an­stal­tun­gen und Teame­vents – und natür­lich das unbefris­tete Arbeits­ver­hält­nis.

Im Rahmen des unter­neh­mens­in­ter­nen „Work & Travel“-Konzepts können sich avanti-Beschäf­tigte gezielt für überre­gio­nale Vermitt­lun­gen in Gebiete ihrer Wahl melden.

#4: Welche Nachteile sind mit dem Modell verbun­den?

Je nach indivi­du­el­ler Ausge­stal­tung des Vertra­ges mit der Verleih­firma, müssen Zeitar­beit­neh­mer/-innen reise­be­reit sein, um auch weiter entfernt vom Wohnort liegende Arbeits­ein­sätze anzuneh­men. Zudem steht nach spätes­tens 18 Monaten der Wechsel der Arbeits­stätte an – und man muss sich wieder auf ein neues Umfeld, neue Patien­ten oder Bewoh­ner, neue Kolle­gin­nen und Kolle­gen, und vieles mehr, einstel­len.

Dies ist in der pflege­ri­schen Arbeit, bei der soziale Bindun­gen eine große Rolle spielen, nicht zu unter­schät­zen.

Zudem könnte es in der jewei­li­gen Einrich­tung passie­ren, im Kolle­gen­kreis nicht gleicher­ma­ßen anerkannt und beliebt zu sein wie Festan­ge­stellte – man „gehört halt nicht richtig dazu“. Hier spielt ebenfalls eine Rolle, bei der Dienst­plan-Aufstel­lung nicht im gleichen Maße wie Festan­ge­stellte heran­ge­zo­gen werden zu können. Auch Neidge­fühle können hierbei eine Rolle spielen.

#5: Welche Regulie­run­gen könnten kommen?

Während die Zeitar­beits-Beschäf­tig­ten in der Pflege sich über tenden­zi­ell höhere Gehäl­ter und bessere Arbeits­be­din­gun­gen freuen, sehen Einrich­tungs­trä­ger den Leihar­beits-Boom kritisch.

Die Deutsche Kranken­haus­ge­sell­schaft (DKG) hatte im Februar 2023 einen entspre­chen­den Appell für eine stärkere Regle­men­tie­rung an die Politik gerich­tet, da die Leihar­beit in den Kranken­häu­sern sich „von der Ausnahme zum Regel­fall“ entwi­ckelt habe, was die Beleg­schaft spalte. Auch seien die dadurch entste­hen­den höheren Kosten nicht mehr tragbar.

Tatsäch­lich plant Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach eine gesetz­li­che Neure­ge­lung, um die Zeitar­beit in der Alten­pflege unattrak­tiv zu machen. Demnach dürften Heimträ­ger nur noch die Perso­nal­kos­ten den Pflege­kas­sen gegen­über abrech­nen, die auch für die Stamm­be­leg­schaft anfie­len. Zeitar­beit wäre damit im Extrem­fall nicht mehr finan­zier­bar – sie ließe sich wirtschaft­lich nicht mehr darstel­len.

Ob dies jedoch so kommt, ist höchst ungewiss: Denn ist es lange nicht ausge­macht, dass die Zeitar­beits­kräfte in der Pflege in „normale“ Fest-Arbeits­ver­hält­nisse zurück wechseln – oder doch eher den Beruf verlas­sen. Sollte Letzte­res vermehrt eintre­ten, würde es den Perso­nal­man­gel in den Einrich­tun­gen verschär­fen – was eine tatsäch­li­che Regulie­rung durch den Gesetz­ge­ber zumin­dest fraglich macht.