#1: Was ist Zeitarbeit genau?
Zeitarbeit, auch Arbeitnehmerüberlassung oder Leiharbeit genannt, ist ein besonderes System der Beschäftigung. Der Arbeitnehmer:in schließt hierbei einen Arbeitsvertrag mit einem Zeitarbeits-Unternehmen. Dieses schickt seine Beschäftigten dann zum Arbeitseinsatz in Betriebe, die leihweise Arbeitskräfte anfordern – klassischerweise, um vermehrte Personalausfälle oder Bedarfsspitzen abzufedern.
Der Arbeitsvertrag besteht also – im Unterschied zur Festanstellung – nicht mit dem Unternehmen, in dem man (gerade) eingesetzt ist. Einfach gesprochen, gibt es zwei Verträge im Hintergrund: der Arbeitsvertrag zwischen dem Zeitarbeits-Unternehmen und dem / der Beschäftigten, sowie den Arbeitnehmer-Überlassungsvertrag zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem anfordernden Unternehmen.
In Deutschland regelt die Zeit- oder Leiharbeit das 1972 verabschiedete Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz, das seitdem mehrfach geändert wurde.
Seit 2017 gilt eine wichtige Neuerung: Höchstens 18 Monate dürfen die Beschäftigten in ein- und demselben Betrieb eingesetzt sein. Wie bei einem „klassischen“ Arbeitsvertrag, sind in der Zeitarbeit sämtliche Stundenmodelle möglich – von der Voll- über die Teilzeitstelle bis zur geringfügigen Beschäftigung.
#2: Wie viele Zeitarbeits-Beschäftigte gibt es insgesamt, und wieviele in der Pflege?
Laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren – nach den aktuellsten vorliegenden Zahlen von Juni 2022 – von den insgesamt 38,8 Millionen Beschäftigten in Deutschland knapp 835.000 über einen Zeitarbeitsvertrag angestellt [Excel-Datei]. Dies entspricht einer Quote von 2,2 Prozent.
Speziell in der Pflege gibt es laut der Statistik rund 26.500 Zeitarbeitnehmer Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe; knapp 17.000 in der Altenpflege. Dies entspricht einem Anteil von rund 2,7 Prozent an der Gesamt-Arbeitnehmerschaft in der Altenpflege.
In der Krankenpflege lässt sich der Anteil nicht ganz genau bestimmen, weil in der Berufsgruppen-Zahl von rund 26.500 Beschäftigten auch Angehörige von Geburtshilfe und Rettungsdienst enthalten sind. Der Zeitarbeits-Anteil in der Krankenpflege dürfte aber ebenfalls bei 2,5 bis 2,7 Prozent liegen – je nachdem, welche Bezugsgröße man zugrunde liegt, ob mit Rettungsdienst und Geburtshilfe oder ohne.
Interessant hierbei: Während die Gesamtzahl aller Leiharbeitskräfte seit 2017, als ein Höchststand von über einer Million Beschäftigten verzeichnet wurde, deutlich zurückgegangen war, stieg sie in der Pflege – wie die „Süddeutsche Zeitung“ in Bezug auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag berichtet – um knapp 14.000 Beschäftigte oder 46 Prozent.
Bundesweit habe es insbesondere im Jahr 2022 einen sprunghaften Anstieg gegeben: in der Krankenpflege um fast zehn Prozent, in der Altenpflege sogar um 23 Prozent.
Noch deutlicher sieht es über einen längeren Betrachtungszeitraum aus: „Seit 2013 hat sich die Zahl der Altenpflege-Fachkräfte in Zeitarbeitsfirmen mehr als verfünffacht (plus 428 Prozent), in der Krankenpflege im gleichen Zeitraum mehr als vervierfacht (plus 315 Prozent)“, schreibt der WDR in Bezug auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.
#3: Was sind die Vorteile der Zeitarbeit?
Dass die Zahl der Beschäftigten in der Pflege auf Zeitarbeits-Basis zunimmt, ist kein Zufall: Mehrere Faktoren machen die Zeitarbeit in der Pflege populär.
Im Gegensatz zu manch anderen Branchen, wo Zeitarbeit mitunter der Ruf als „Billigarbeit“ anhaftet, sind die Zeitarbeits-Entgelte in der Pflege tendenziell übertariflich, oft deutlich höher als bei einer klassischen Festanstellung in der Einrichtung. Hinzu kommen häufig Extras wie ein Dienstwagen oder ein betriebliches Mobiltelefon.
Zudem sind die Arbeitszeiten verlässlich, Beschäftigte haben mehr Mitspracherechte bei der Dienstplan-Aufstellung – da der Träger kein „direktes“ Weisungsrecht der Leiharbeitskraft gegenüber hat.
Zudem lässt sich, je nach persönlichem Bedarf und der momentanen Lebenssituation, das gewünschte Arbeitspensum leicht erhöhen oder verringern. Auch die Möglichkeit, im Laufe der Zeitarbeits-Tätigkeit verschiedene Einrichtungen kennenzulernen, mögen manche zu schätzen wissen.
Ein Beispiel aus der Praxis ist das aufs aufs Gesundheits- und Pflegewesen sowie auf Pädagogik spezialisierte Unternehmen avanti GmbH, Themenpartner von RDG Online für das Ressort Personal.
Wie avanti-Geschäftsführer Matthias Hiepko bei der Winterakademie 2023 auf Gran Canaria vortrug, sei seit seiner Gründung im Jahr 2000 von einem auf mittlerweile 30 Niederlassungen in Deutschland und Österreich und 2.158 eigene Beschäftigte gewachsen; 2021 seien allein 712 zu vermittelnde Arbeitskräfte neu ins Unternehmen gekommen; im Jahr 2022 waren es sogar 1.276.
Ganz gezielt setzt das Unternehmen dabei auf attraktive Arbeitsbedingungen für seine Beschäftigten: Einige Benefits sind der Dienstwagen, Fort- und Weiterbildungen, eine übertarifliche Bezahlung, bei den avanti-Partnern im Einzelhandel einlösbare Gutscheinkarten und Mitarbeiter-Rabatte bei verschiedenen Läden, die Dienstplan- und Urlaubsmitgestaltung, Firmenveranstaltungen und Teamevents – und natürlich das unbefristete Arbeitsverhältnis.
Im Rahmen des unternehmensinternen „Work & Travel“-Konzepts können sich avanti-Beschäftigte gezielt für überregionale Vermittlungen in Gebiete ihrer Wahl melden.
#4: Welche Nachteile sind mit dem Modell verbunden?
Je nach individueller Ausgestaltung des Vertrages mit der Verleihfirma, müssen Zeitarbeitnehmer/-innen reisebereit sein, um auch weiter entfernt vom Wohnort liegende Arbeitseinsätze anzunehmen. Zudem steht nach spätestens 18 Monaten der Wechsel der Arbeitsstätte an – und man muss sich wieder auf ein neues Umfeld, neue Patienten oder Bewohner, neue Kolleginnen und Kollegen, und vieles mehr, einstellen.
Dies ist in der pflegerischen Arbeit, bei der soziale Bindungen eine große Rolle spielen, nicht zu unterschätzen.
Zudem könnte es in der jeweiligen Einrichtung passieren, im Kollegenkreis nicht gleichermaßen anerkannt und beliebt zu sein wie Festangestellte – man „gehört halt nicht richtig dazu“. Hier spielt ebenfalls eine Rolle, bei der Dienstplan-Aufstellung nicht im gleichen Maße wie Festangestellte herangezogen werden zu können. Auch Neidgefühle können hierbei eine Rolle spielen.
#5: Welche Regulierungen könnten kommen?
Während die Zeitarbeits-Beschäftigten in der Pflege sich über tendenziell höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen freuen, sehen Einrichtungsträger den Leiharbeits-Boom kritisch.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hatte im Februar 2023 einen entsprechenden Appell für eine stärkere Reglementierung an die Politik gerichtet, da die Leiharbeit in den Krankenhäusern sich „von der Ausnahme zum Regelfall“ entwickelt habe, was die Belegschaft spalte. Auch seien die dadurch entstehenden höheren Kosten nicht mehr tragbar.
Tatsächlich plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine gesetzliche Neuregelung, um die Zeitarbeit in der Altenpflege unattraktiv zu machen. Demnach dürften Heimträger nur noch die Personalkosten den Pflegekassen gegenüber abrechnen, die auch für die Stammbelegschaft anfielen. Zeitarbeit wäre damit im Extremfall nicht mehr finanzierbar – sie ließe sich wirtschaftlich nicht mehr darstellen.
Ob dies jedoch so kommt, ist höchst ungewiss: Denn ist es lange nicht ausgemacht, dass die Zeitarbeitskräfte in der Pflege in „normale“ Fest-Arbeitsverhältnisse zurück wechseln – oder doch eher den Beruf verlassen. Sollte Letzteres vermehrt eintreten, würde es den Personalmangel in den Einrichtungen verschärfen – was eine tatsächliche Regulierung durch den Gesetzgeber zumindest fraglich macht.