Krankenhausreform
Ein Kranken­haus von innen Bild: © Alfredo Hernán­dez Ríos | Dreamstime.com

Die Kranken­haus­re­form gilt als zentra­les politi­sches Vorha­ben von Bundes-Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD): Das Bundes­ka­bi­nett hat am 15. Mai die Kranken­haus­re­form auf den Weg gebracht.

Das sogenannte Kranken­haus­ver­sor­gungs-Verbes­se­rungs­ge­setz (KHVVG) soll die Klinik-Finan­zie­rung grund­le­gend umgestal­ten und die Behand­lungs­qua­li­tät durch Neustruk­tu­rie­run­gen insge­samt verbes­sern. Geplant ist, das Gesetz Anfang 2025 in Kraft treten zu lassen.

Die Geset­zes­re­form ist jedoch hochum­strit­ten, Kritik gibt es an dieser Kranken­haus­re­form von allen Seiten – aus den Bundes­län­dern, von den Klini­ken selbst, von den Kranken­ver­si­che­run­gen sowie Patien­ten­ver­bän­den. Wir liefern 5 Fakten zur Kranken­haus­re­form.

#1: Was regelt die Kranken­haus­re­form?

Nicht alle Kranken­häu­ser sollen – sehr salopp gesagt – mehr alle medizi­ni­schen Leistun­gen anbie­ten dürfen: Statt­des­sen sollen für die Klini­ken Versor­gungs­stu­fen (hier ein guter Überblick) definiert werden. Das System besteht aus drei Stufen mit insge­samt fünf Unter­stu­fen. Die „niedrigste“ Stufe ist „Ii“, die „Grund­ver­sor­gung mit integrier­ter ambulant/stationärer Versor­gung“ – ein wohnort­na­hes Kranken­haus für die Breiten­ver­sor­gung, abseits der medizi­nisch schwie­ri­gen Fälle.

In der Stufe „In“ kommt die Notfall­ver­sor­gung hinzu, mit mindes­tens sechs Inten­siv­bet­ten, fachärzt­li­chen Rufdiens­ten und einer teleme­di­zi­ni­schen Anbin­dung an größere Kranken­häu­ser.

Klini­ken auf Stufe „II“ sind spezia­li­sier­ter: Hier müssen mindes­tens jeweils drei inter­nis­ti­sche und chirur­gi­sche Leistungs­grup­pen abgedeckt sein, zudem mindes­tens zwei medizi­ni­sche Spezi­al­ge­biete wie Neuro­lo­gie, Kardio­lo­gie oder Ortho­pä­die, Kinder­chir­ur­gie, Urolo­gie oder Hals-Nasen-Ohren­heil­kunde. Zudem ist eine Fachab­tei­lung Gynäko­lo­gie / Geburts­hilfe sowie eine Stroke Unit für Schlag­an­fall-Patien­ten vorzu­hal­ten, ebenso wie mindes­tens 20 Inten­siv­bet­ten.

Stufe „III“ definiert die Maximal­ver­sor­gung, mit einem noch breite­ren Leistungs­spek­trum und mehr medizi­ni­schen Teildis­zi­pli­nen als in der zweiten Stufe und verpflich­tend einem Hubschrau­ber-Lande­platz.

Mindes­tens 40 Inten­siv­bet­ten muss die Einrich­tung beher­ber­gen. Die Spitze der Klinik­land­schaft bilden die Häuser der Stufe „IIIU“, die Univer­si­täts­kli­ni­ken, wo möglichst alle medizi­ni­schen Fächer reprä­sen­tiert sein sollen sowie Forschung und Weiter­ent­wick­lung statt­fin­den.

Für bedarfs­not­wen­dige Kranken­häu­ser in ländli­chen Räumen soll es unbefris­tete Ausnah­men geben. Die bereits bestehen­den Zuschläge für diese Kranken­häu­ser sollen erhöht werden. Für Leistun­gen der allge­mei­nen Chirur­gie und allge­mei­nen Inneren Medizin gilt eine Anfahrts­zeit per Auto von 30 Minuten als zumut­bar, für alle anderen Leistungs­grup­pen eine 40-minütige Anreise.

Um die Quali­tät der Versor­gung zu verbes­sern, sollen Krite­rien für 65 Leistungs­grup­pen (LG) definiert und sämtli­che Leistun­gen der Kranken­häu­ser eindeu­tig einer der Leistungs­grup­pen zugewie­sen werden. Um inner­halb einer Leistungs­gruppe behan­deln zu dürfen, müssen Klini­ken bestimmte Quali­täts­vor­ga­ben einhal­ten.

Ein zentra­les Instru­ment in der zukünf­ti­gen Finan­zie­rung der Klini­ken ist die Abkehr von den Fallpau­scha­len. Statt­des­sen soll es Vorhal­te­ver­gü­tun­gen geben – dafür, dass eine medizi­ni­sche Leistung bereit­steht, auch wenn sie momen­tan nicht genutzt wird. Sie sollen 60 Prozent der zukünf­ti­gen Klinik­ver­gü­tung ausma­chen.

Ziel ist es, wirtschaft­li­chen Druck von den Klini­ken zu nehmen, zu verhin­dern, dass etwa bei der Entschei­dung für eine Opera­tion wirtschaft­li­che Gründe (mit-)ausschlaggebend sind.

Für Stroke Units, Trauma­to­lo­gie, Pädia­trie, Geburts­hilfe, Inten­siv­me­di­zin, Koordi­nie­rungs­auf­ga­ben, Unikli­ni­ken und die Notfall­ver­sor­gung sollen zusätz­li­che Mittel gewährt werden.

Es soll mehr Trans­pa­renz für Patien­ten geben: Zukünf­tig soll einseh­bar sein, welches Kranken­haus welche Leistun­gen mit welcher Quali­tät anbie­tet.

Auch soll es weniger Bürokra­tie für Kranken­häu­ser geben, etwa durch schlan­kere Dokumen­ta­tion und eine allge­meine „Entschla­ckung“ des Systems. Mit der Einfüh­rung der Vorhal­te­ver­gü­tung werde sich der Aufwand bei Abrech­nungs­prü­fun­gen verrin­gern, da struk­tu­rierte Stich­pro­ben­prü­fun­gen die bishe­ri­gen Einzel­fall­prü­fun­gen erset­zen sollen, so das Gesund­heits­mi­nis­te­rium.

#2: Welche Motiva­tion hat das Gesetz?

Ein Haupt-Beweg­grund für das Gesetz ist die Entöko­no­mi­sie­rung des Klinik­be­triebs, die Abkehr vom rein (oder vorwie­gend) wirtschaft­li­chen Denken bei der Arbeit mit Patien­ten. So sollen, durch das neue System der Vorhalte- statt Fallpau­scha­len, im Zweifels­fall unnötige Opera­tio­nen vermie­den werden.

Bislang besteht für die Klinik ein Anreiz (oder fakti­scher Zwang), aus Gründen der Auslas­tung und Renta­bi­li­tät der Einrich­tung auch hinsicht­lich der medizi­ni­schen Notwen­dig­keit fragwür­dige Leistun­gen durch­zu­füh­ren, oder für die es eine günsti­gere Alter­na­tive gibt.

Die Geset­zes­re­form soll die Spezia­li­sie­rung der Kranken­häu­ser voran­brin­gen, durch die Defini­tion von medizi­ni­schen Leistungs­grup­pen. Der Grund­ge­danke: Die kleine­ren und mittel­gro­ßen Klini­ken sollen sich auf bestimmte Fachrich­tun­gen konzen­trie­ren, anstatt alles (und dann nur mittel­mä­ßig) zu leisten.

Durch die Ausnah­men und Zuschüsse für kleinere Häuser in dünnbe­sie­del­ten Gebie­ten will die Kranken­haus­re­form den Erhalt der Klini­ken in der Fläche sicher­stel­len.

Für die Patien­ten läge der Nutzen in gestie­ge­ner Trans­pa­renz, einer durch die neuen Anfor­de­run­gen für die medizi­ni­schen Leistungs­grup­pen gesicher­ten Quali­tät sowie besse­ren Behand­lungs-Ergeb­nis­sen durch die Spezia­li­sie­rung der Häuser auf bestimmte Teildis­zi­pli­nen.

#3: Wie soll die Reform finan­ziert werden?

Für die Umset­zung der Kranken­haus­re­form, also des KHVVG, ist ein Trans­for­ma­ti­ons­fonds in Höhe von 50 Milli­ar­den Euro über die Dauer von 10 Jahren geplant. Dieser soll je zur Hälfte vom Bund und durch die Bundes­län­der gefüllt werden und die Kranken­häu­ser über diese Zeit beim Um­bau des Systems unter­stüt­zen.

Der Bund will aller­dings nicht aus allge­mei­nen Haushalts­mit­teln Geld einbrin­gen, sondern seinen Anteil aus dem Gesund­heits­fonds der Kranken­kas­sen finan­zie­ren. Dies dürfte für Streit und Proteste der Kranken­ver­si­che­run­gen sorgen.

#4: Was sind die weite­ren Schritte?

Auch vor dem Hinter­grund des andau­ern­den Streits mit den Ländern ist der Geset­zes­ent­wurf so geschrie­ben, dass er voraus­sicht­lich kein Zustim­mungs­ge­setz im Bundes­rat ist. Wenn so auch die finale Zustim­mung des Bundes­ra­tes nicht erfor­der­lich wäre, könnte jener den Vermitt­lungs­aus­schuss anrufen und Einspruch gegen das Gesetz erheben.

Der Bundes­tag hätte dann die Möglich­keit, den Bundes­rat zu überstim­men (erfolgt der Einspruch im Bundes­rat mit absolu­ter Mehrheit, ist auch für eine Überstim­mung durch den Bundes­tag eine absolute Mehrheit erfor­der­lich.

Entspre­chen­des gilt für einen Einspruch des Bundes­ra­tes mit Zwei-Drittel-Mehrheit, die dann auch im Bundes­tag nötig wäre). Dadurch, dass alle 16 Bundes­län­der Einwände gegen das Gesetz haben, könnte das Proze­dere im Bundes­rat spannend werden. Angesichts der vielfa­chen Wider­stände dürfte das Ziel der Bundes­re­gie­rung, das Gesetz 2025 in Kraft treten zu lassen, mit Vorsicht zu genie­ßen sein.

#5: Welche Kritik gibt es?

Der AOK-Bundes­ver­band kriti­siert vor allem die Finan­zie­rung des Bundes­an­teils über die Kassen, und damit über die Beiträge: Wenn die Pläne weiter durch­se­gel­ten, werde das „die Beitrags­zah­len­den der GKV sehr teuer zu stehen kommen und zu höheren Beitrags­sät­zen führen“, so Jens Martin Hoyer, stell­ver­tre­ten­der Vorstands­vor­sit­zende des Bundes­ver­bands.

Dass die gesetz­li­chen Kassen für die Moder­ni­sie­rung der Klinik­land­schaft zahlen müssten, stelle „die bishe­rige Logik der Kranken­haus-Finan­zie­rung auf den Kopf“. Für diese seien die Bundes­län­der zustän­dig, da jene auch über die Kranken­haus­struk­tur bestimm­ten.

Auf der anderen Seite bleibe weiter offen, welchen Nutzen die GKV-Versi­cher­ten von dieser Reform haben werden: Zu befürch­ten sei, dass die Leistungs­grup­pen in den Verhand­lun­gen mit den Ländern gewis­ser­ma­ßen durch Hinter­tür­chen und Ausnah­men „verwäs­sert“ würden.

Die „Ziele der Kranken­haus­re­form sind richtig – aber die vorge­se­hen Maßnah­men verfeh­len diese Ziele und gefähr­den die Versor­gungs­si­cher­heit“, so die Deutsche Kranken­haus-Gesell­schaft (DKG), der Dachver­band aller Kranken­haus­trä­ger mit 1887 Klini­ken in Deutsch­land. „Vor allem kleine­ren Klini­ken in der Fläche droht das Aus, weil sich deren Finan­zie­rungs­grund­lage nicht verbes­sert.

Aber auch für Kranken­häu­ser mit Spezi­al­auf­ga­ben droht die Vorhal­te­fi­nan­zie­rung zum Fiasko zu werden, weil zusätz­li­che Patien­ten­be­hand­lun­gen, die sie aus kleine­ren Stand­or­ten überneh­men sollen deutlich schlech­ter vergü­tet werden als im heuti­gen Finan­zie­rungs­sys­tem“, so DKG-Vorstands­chef Dr. Gerald Gaß.

Niemand wisse, ob die neue Finan­zie­rungs­form funktio­niere. „Im Blind­flug in ein neues Finan­zie­rungs­sys­tem zu starten, in dem sich dann rund 70 Milli­ar­den Euro in verän­der­ter Art und Weise auf die Kranken­häu­ser vertei­len, ist ein unver­ant­wort­li­ches Vaban­que­spiel der Politik.“

Von Seiten der Bundes­län­der gibt es ebenfalls deutli­chen Unmut an der Kranken­haus­re­form. Alle 16 Länder-Gesund­heits­mi­nis­ter forder­ten Änderun­gen, so der baden-württem­ber­gi­sche Gesund­heits­mi­nis­ter Manfred Lucha (Grüne). „Sollte der Bund die Vorschläge der Länder nicht aufgrei­fen, ist der Gang in den Vermitt­lungs­aus­schuss unaus­weich­lich“, sagte Lucha weiter.

„Und ob Karl Lauter­bach dann ein gemein­sa­mes Vermitt­lungs­er­geb­nis noch in seiner Amtszeit als Minis­ter erleben wird, halte ich für fraglich.“ Haupt­sorge ist, trotz der angekün­dig­ten Ausnah­men für den ländli­chen Bereich, ein Ausdün­nen der Kranken­haus-Versor­gung in der Fläche.

Auch die Gewerk­schaft ver.di und der Deutsche Evange­li­sche Kranken­haus­ver­band (DEKV) stimm­ten angesichts der geplan­ten Finan­zie­rung des Bundes­an­teils durch Beitrags- anstatt Haushalts­mit­tel in die Kritik an der Kranken­haus­re­form ein.