Fentanyl
Fenta­nyl ist auf dem Vormarsch als Modedroge Bild: © Libux77 | Dreamstime.com

#1: Was genau ist Fenta­nyl?

Fenta­nyl (chemi­sche Formel: C22H28N2O) ist ein synthe­tisch gewon­ne­nes Opioid. Erstmals zusam­men­ge­stellt wurde es 1960 vom belgi­schen Chemi­ker Paul Janssen, Gründer des gleich­na­mi­gen Pharma­kon­zerns, und ab 1963 zunächst als Injek­ti­ons­lö­sung in Europa vermark­tet.

Das Mittel wird, in seiner eigent­lich vorge­se­he­nen Bestim­mung, vor allem zur Linde­rung starker und/oder chroni­scher Schmer­zen – etwa bei Schwer­ver­letz­ten oder Sterben­den – sowie als Narko­se­mit­tel in der Anästhe­sie angewen­det.

Eine Aufnahme in den Körper ist über eine Spritze, ein Pflas­ter, per Nasen­spray oder per Lutsch­ta­blette möglich. Aufgrund der starken Sucht­ge­fahr fällt Fenta­nyl unter das Betäu­bungs­mit­tel­ge­setz und darf nur gegen Rezept ausge­ge­ben werden.

Weil Fenta­nyl so extrem stark wirksam ist – so gilt es als ungefähr 80- bis 100-mal poten­ter als Morphin –, wird es in nur sehr gerin­gen Dosie­run­gen verab­reicht. In Pflas­ter­form gibt es Präpa­rate, die zwischen 12 und 150 μg (Mikro­gramm, also Tausends­tel-Milli­gramm) pro Stunde an die Haut abgeben. In Tablet­ten­form sind Fenta­nyl-Dosie­run­gen zwischen 100 und 800 μg erhält­lich. Über einen Zeitraum von drei bis zwölf Stunden, abhän­gig von körper­li­cher Verfas­sung und Gewöh­nung, baut der Körper den Stoff zur Hälfte ab (die sogenannte Halbwerts­zeit).

Bereits 2.000 μg, also 2 Milli­gramm (!), gelten bei gleich­zei­ti­ger Einnahme als tödli­che Dosis für einen norma­len Erwach­se­nen. Im US-Bundes­staat Nebraska wurde 2018 Fenta­nyl, in einer bewuss­ten Überdo­sis verab­reicht, sogar gezielt zur Hinrich­tung eines Häftlings einge­setzt.

Mit der Einnahme von Fenta­nyl können zahlrei­che Neben­wir­kun­gen auftre­ten, unter anderem sehr häufig Kopfschmer­zen, Erbre­chen, Schwin­del, Schläf­rig­keit, starkes Schwit­zen und Juckreiz. Nervo­si­tät, Appetit­lo­sig­keit und Mundtro­cken­heit sind weitere mögli­che Begleit­ef­fekte. In der Schwan­ger­schaft darf Fenta­nyl nicht angewen­det werden, da es das ungebo­rene Baby schädi­gen kann.

#2: Wie hat sich Fenta­nyl zur Droge entwi­ckelt?

Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich in den USA die Verwen­dung von Fenta­nyl als Rausch­mit­tel etabliert. Den Anfang markierte das 1996 vom mittler­weile insol­ven­ten Arznei­mit­tel­kon­zern Purdue Pharma auf den Markt gebrachte Oxycon­tin. Es wurde als hochwirk­sa­mes, aber kaum süchtig machen­des Präpa­rat bewor­ben und massen­haft verschrie­ben.

Das Präpa­rat wurde – in wirtschaft­li­cher Hinsicht – zunächst zum großen Erfolg. Die „Hemmschwelle“ für das Verschrei­ben von Oxycon­tin sank mit der Zeit immer mehr; es wurde schließ­lich von Ärzten auch gegen vergleichs­weise leichte Schmer­zen angebo­ten. Die Folge: Eine große Zahl von Patien­ten entwi­ckelte eine Abhän­gig­keit und blieb auf Fenta­nyl „hängen“. 2007 verur­teilte ein Gericht Purdue Pharma wegen irrefüh­ren­der Werbung und einer Verharm­lo­sung des Sucht­po­ten­zi­als zu einer 634,5 Millio­nen US-Dollar; 2019 ging die Firma insol­vent.

Doch der Schaden blieb bestehen: Seit Jahrzehn­ten steigt die Zahl der Drogen­to­ten in den USA (mit einer Ausnahme im Jahr 2018) von Jahr zu Jahr an, seit ungefähr 2015 in zuneh­mend rasan­tem Tempo. Im Jahr 2021 regis­trier­ten die Verei­nig­ten Staaten mit knapp 107.000 erstmals eine sechs­stel­lige Zahl an Menschen, die infolge ihres Drogen­kon­sums starben – ungefähr jeder zweite Fall davon lässt sich auf Fenta­nyl zurück­füh­ren.

Ein weite­rer Grund für den Vormarsch von Fenta­nyl ist der zuneh­mende Ersatz des Präpa­rats für Heroin: Im April 2022 hatten die afgha­ni­schen Taliban den Anbau von Schlaf­mohn – aus dem Opium gewon­nen wird, der Grund­stoff für Heroin – verbo­ten; Afgha­ni­stan ist (oder war) mit einem Markt­an­teil von mindes­tens 80, je nach Schät­zung 90 Prozent das mit Abstand bedeu­tendste Anbau- und Herkunfts­land für Opium.

Bereits im Folge­jahr ging die produ­zierte Menge um 95 Prozent zurück. Nach den Geset­zen des Marktes sorgt das drama­tisch einge­bro­chene Angebot für stark steigende Preise. Drogen­dea­ler schei­nen daher verstärkt dazu überzu­ge­hen, Heroin mit Fenta­nyl zu strecken.

#3: Woher stammt der Stoff, und worin steckt die beson­dere Gefahr?

An die Stelle des Fenta­nyl-Bezugs über die Apotheke sind für die Massen an Abhän­gi­gen chine­si­sche Drogen­la­bore getre­ten; meist gelangt das Fenta­nyl über mexika­ni­sche Drogen­kar­telle in die USA. Wie der Stoff nach Europa gelangt, ist – aufgrund des noch jungen Phäno­mens – noch nicht abschlie­ßend geklärt. Stark zu vermu­ten ist, dass es ebenfalls aus China einge­führt und als Schmug­gel­ware, etwa in Schiffs­con­tai­nern versteckt, Europa und Deutsch­land erreicht.

Die beson­dere Gefahr liegt für Heroin-Gebrau­chende in dem, durch die Streckung des Rausch­mit­tels mit Fenta­nyl, unwis­sent­li­chen Konsum. Durch die unkon­trol­lierte Dosie­rung des Fenta­nyls kann es schnell zu einer lebens­be­droh­li­chen Überdo­sis kommen. Nicht nur Heroin, sondern auch andere harte Drogen wie Crack, Kokain oder Metham­phet­amin sind von der Gefahr betrof­fen, dass unwis­sent­lich Fenta­nyl beigemengt wurde.

Bei Fenta­nyl stellt sich zudem der Gewöh­nungs­ef­fekt schnell ein: Schwerst­ab­hän­gige brauchen rund alle zwei Stunden eine neue Dosis, um den Wirkstoff­spie­gel im Körper beizu­be­hal­ten. Das ganze Leben dreht sich buchstäb­lich nur noch um den nächs­ten Schuss.

#4: Wie ist die Situa­tion in Deutsch­land?

US-ameri­ka­ni­sche Verhält­nisse herrschen hier noch nicht; aller­dings ist die Droge in einigen größe­ren Städten auf dem Vormarsch – so etwa in Hamburg: Testun­gen in Drogen-Konsum­räu­men, wo es die Möglich­keit für Drogen­ge­brau­cher gibt, ihren Stoff freiwil­lig testen zu lassen („Drugche­cking“), wurde in 27 von 249 unter­such­ten Heroin-Proben Fenta­nyl nachge­wie­sen – eine Quote von 11 Prozent.

In anderen Städten und Bundes­län­dern, so auch Berlin und NRW, gab es deutlich niedri­gere Positiv-Raten. Zu konkre­ten Schwer­punk­ten der Fenta­nyl-Verbrei­tung, oder gar einer „Fenta­nyl-Szene“ in Deutsch­land, konnte das Büro des Drogen­be­auf­trag­ten der Bundes­re­gie­rung auf Anfrage der „Rechts­de­pe­sche“ jedoch keine Erkennt­nisse liefern.

Laut der Deutschen Aidshilfe starben im Jahr 2022 in Deutsch­land mindes­tens 83 Menschen unter Einwir­kung synthe­ti­scher Opioide, wozu eben auch Fenta­nyl gehört. Im Vorjahr seien es 102 offizi­ell regis­trierte Fälle gewesen. Angesichts der Zahlen fordert die Aidshilfe weitere „Drugchecking“-Angebote in Konsum­räu­men, sowie überhaupt erst deren Einrich­tung in Bundes­län­dern wie Bayern, die sich dem Prinzip bislang noch komplett verwei­gern. Außer­dem brauche es nieder­schwel­lige Testmög­lich­kei­ten für Drogen­ge­brau­cher im Nacht­le­ben.

#5: Gibt es ein Gegen­mit­tel?

Mit Naloxon (C19H21NO4) gibt es ein wirksa­mes Gegen­mit­tel im Falle einer Überdo­sie­rung. Das Mittel gehört zur Gruppe der sogenann­ten Opioid-Antago­nis­ten. Eine gängige Verab­rei­chungs­form ist das Nasen­spray. Ein Problem ist, dass Betrof­fene sich im Fall einer Überdo­sie­rung das Präpa­rat meist nicht mehr selbst verab­rei­chen können.

Die Aidshilfe fordert daher, Naloxon zur Grund­aus­stat­tung von Drogen-Konsum­räu­men zu machen. Ein Problem in Deutsch­land ist bislang, dass Naloxon – im Gegen­satz zu den USA und Kanada – verschrei­bungs­pflich­tig ist, was den Zugang zum Mittel im Notfall erschwert.