Die PPR 2.0 ist schon lange ein Thema. Viele Verbände wie der Deutsche Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) fordern ihre Einführung. Bei einer Kundgebung des DBfK vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen am 27. Oktober richtete DBfK-Präsidentin Prof. Christel Bienstein einen klaren Appell an die Verhandlungspartner von SPD, FDP und Grünen:
„Wir haben erlebt, dass kleine Reformen nicht ausreichen, um den Pflegenotstand wirksam zu bekämpfen. Die Krise spitzt sich zu und im Jahr 2030 werden 500.000 professionell Pflegende fehlen, wenn jetzt nicht entschlossen gehandelt wird. Eine sichere pflegerische Versorgung gibt es dann nicht mehr! Wir brauchen dringend mehr qualifiziertes Personal in den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten. Setzen Sie als Interimslösung die PPR 2.0 ein und beschleunigen Sie den Einsatz der Personalbemessung in der Langzeitpflege. Das ist leicht umsetzbar und führt zu einer spürbaren Entlastung der Kolleg:innen.“
#1: Was ist die PPR 2.0 und wie ist sie entstanden?
Die PPR 2.0 ist eine überarbeitete Form der Pflegepersonalregelung (PPR) von 1992, die immer noch in vielen Krankenhäusern angewendet wird. Entwickelt wurde sie als Interimsinstrument im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege von Deutschen Pflegerat (DPR), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Gewerkschaft ver.di. Nach einem Pre-Test der PPR 2.0 in 44 Krankenhäusern wurde das Konzept im Januar 2020 vorgestellt.
Laut Gerald Gaß, dem Vorstandsvorsitzenden der DKG, ist der aktuelle Pflegepersonalquotient nicht ausreichend, eine bedarfsorientierte Personaldecke in Krankenhäusern sicherzustellen. Denn die Pflegepersonalkosten werden mittlerweile nicht mehr über die Fallpauschalen, sondern unabhängig davon anhand nachgewiesener Kosten finanziert.
„Der Pflegepersonalquotient ist genau wie die Pflegepersonaluntergrenzen ein Instrument einer nicht mehr nachvollziehbaren Überreglementierung und Bürokratisierung des Pflegepersonaleinsatzes im Krankenhaus,“ so Gaß.
#2: Was soll durch die PPR 2.0 erreicht werden?
Die PPR 2.0 gilt für alle bettenführenden somatischen Stationen für Erwachsene und hat das Ziel, die Pflegeleistungen und Zeitwerte an aktuelle, am Bedarf der Patienten orientierte Anforderungen anzupassen.
Besonders die erhöhten Anforderungen an Qualitätssicherung, Pflichtweiterbildung und die Umsetzung neuer Pflegekonzepte sollen abgebildet werden, genauso wie die Leitlinien der Fachgesellschaften. Die Zeitwerte wurden von dem 14-stündigen Zeitintervall der PPR in ein 16-stündiges Zeitintervall (6:00 bis 22:00 Uhr) überführt.
Nach der 100-prozentigen Umsetzung der PPR 2.0 sollen die gesetzlichen Personaluntergrenzen hinfällig werden. Laut Verdi-Vertreterin Sylvia Bühler wird die Umsetzung deutlich mehr Pflegepersonal erfordern. In einer Erklärung von DKG, DPR und ver.di wird der mittel- bis langfristige Mehrbedarf mit 40.000 bis 80.000 Pflegekräften angegeben.
#3: Wie funktioniert die PPR 2.0?
Patienten werden täglich in vier Leistungsstufen der allgemeinen Pflege (zum Beispiel Körperpflege, Ernährung oder Mobilisation) sowie vier Leistungsstufen der speziellen Pflege (zum Beispiel Leistungen im Rahmen von operativen Maßnahmen oder Wundversorgung) eingestuft. Jeder Leistungsstufe sind bestimmte Minutenwerte zugeordnet.
Darüber hinaus gibt es für jeden Patienten einen täglichen Grundwert (für Leistungen ohne direkten Patientenbezug wie der Ablauforganisation) und einen einheitlichen Fallwert, der zum Beispiel Aufnahmen und Entlassungen berücksichtigt.
Durch dieses System erhält man für jeden Patienten einen Zeitwert, der den bedarfsorientierten Pflegeaufwand wiedergibt.
#4: Welche Kritik gibt es an der PPR 2.0?
Der Bundesverband Pflegemanagement sowie die Fachgesellschaft Profession Pflege haben in einem gemeinsamen Text Kritik an der PPR 2.0 geäußert. Ein wesentlicher Punkt ihrer Kritik ist dabei der erhöhte Schulungsbedarf, der sich durch die Einführung ergeben würde. Auch seien entsprechende Anpassungen bei Software und Dokumentationsprozessen notwendig.
Darüber hinaus sieht die Fallgesellschaft auch keinen Sinn in einer formalen Aufstockung des Personals. „Die reine Feststellung über die PPR-Erhebung, dass mehr Personal benötigt wird, führt ja nicht direkt dazu, dass auch mehr Personal auf dem Markt verfügbar ist“, so Pia Wieteck, zweite Vorsitzende der Fachgesellschaft Profession Pflege. Das erhöhe die Frustration unter den Pflegenden.
Wortmeldungen auf Twitter lassen allerdings vermuten, dass das den Pflegekräften durchaus bewusst ist:
Die Privatkliniken finden #PPR2 doof, weil er die niedrige Verfügbarkeit von Pflegefachpersonen auf dem Arbeitsmarkt (keine) nicht berücksichtigt. Wer zur Hölle hat die denn bitte in andere Jobs gezwungen durch Personalabbau und miese Bedingungen?
arthur dent RN (@lemmingdings)
5. Fazit: Kann die PPR 2.0 die Personalprobleme in der Pflege lösen?
Fest steht: Mehr Personal in der Pflege ist lange überfällig – ob durch die PPR 2.0 oder eine andere Regelung. Allerdings wird eine reine Erhöhung der Personaluntergrenzen, durch welches Instrument auch immer, vermutlich nicht ausreichen. Ohne eine wertschätzende Behandlung und die angemessene Bezahlung der Pflegenden wird der Pflegeberuf nach wie vor nicht attraktiv genug sein, um eine Versorgung des Pflegebedarfs für die Zukunft sicherzustellen.