4-Tage-Woche
Die 4‑Tage-Woche in der Pflege soll den Beruf attrak­ti­ver machen Bild: Desirée Gorges

Wenn es in einem system­re­le­van­ten Bereich wie der Pflege bereits massiv an Fachkräf­ten mangelt und abseh­bar ist, dass der demogra­fi­sche Wandel das Problem in Zukunft noch verstär­ken wird, bleibt nur eins: Der Beruf muss attrak­ti­ver werden. Für zukünf­tige Pflege­kräfte wie auch für jene, die den Beruf bereits ausüben.

Neben Maßnah­men wie Lohner­hö­hun­gen in der Alten­pflege und öffent­li­chen Pflege­ein­rich­tun­gen, dem Pflege­be­ru­fe­ge­setz oder der Fachkräf­te­an­wer­bung im Ausland steht so mittler­weile auch die Einfüh­rung einer 4‑Tage-Woche in der Pflege auf der politi­schen Agenda.

Zum Inter­na­tio­na­len Tag der Pflege am 12. Mai rückte die SPD-Gesund­heits­po­li­ti­ke­rin und Ärztin Corne­lia Klisch das Thema erneut in den Fokus. Im Kern geht es dabei um folgende Ziele:

4-Tage-Woche
Die Ziele der 4‑Tage-Woche in der Pflege Bild: Desirée Gorges

Eine allge­meine Debatte um das Arbeits­zeit­mo­dell war bereits im vergan­ge­nen Jahr entbrannt, nachdem aus Gewerk­schafts- und SPD-Kreisen die Forde­run­gen nach einer 4‑Tage-Woche lauter gewor­den waren – insbe­son­dere für Berufe, bei denen kein Homeof­fice möglich ist.

Kritik kam von Seiten der Arbeit­ge­ber und der CDU, die Wohlstands­ver­lust und einen „Lohnkos­ten­schock“ befürch­tete, wenn bei vollem Lohnaus­gleich Arbeits­zei­ten weiter reduziert würden. In der Pflege würde sich dies demnach in höheren Kosten für Pflege­be­dürf­tige und Angehö­rige nieder­schla­gen.

Gestal­tungs­spiel­raum bei der 4‑Tage-Woche

Die 4‑Tage-Woche bei vollem Lohnaus­gleich muss aber nicht zwangs­läu­fig mit einer Reduzie­rung der Wochen­ar­beits­zeit einher­ge­hen und somit einen (rechne­ri­schen) Anstieg des Stunden­lohns bedeu­ten, wie Wolfgang Steiger vom CDU-Wirtschafts­rat seine Ableh­nung unter anderem begrün­dete.

Zahlrei­che Pilot­ver­su­che und Experi­mente in unter­schied­li­chen Einrich­tun­gen in ganz Deutsch­land haben mittler­weile gezeigt, wie vielfäl­tig der Gestal­tungs­spiel­raum bei einer 4‑Tage-Woche ist und wie ausschlag­ge­bend indivi­du­elle Fakto­ren dabei sind.

Wochen­ar­beits­zeit umstruk­tu­rie­ren statt reduzie­ren

Das Klini­kum Biele­feld etwa hat in einem Pilot­ver­such Vollzeit­kräf­ten der unfall­chi­ru­gi­schen und der geria­tri­schen Station die Möglich­keit eröff­net, bei einer gleich­blei­ben­den Wochen­ar­beits­zeit die tägli­che Arbeits­zeit von 7,33 pro Schicht auf 9 Stunden zu erhöhen und so nur 4 Tage pro Woche zu arbei­ten.

Diese Umstruk­tu­rie­rung der Arbeits­zeit stieß auf so gute Resonanz, dass die Etablie­rung der 4‑Tage-Woche auf allen Statio­nen schon vor Ablauf der Testphase beschlos­sen wurde. Zudem konnte ein Anstieg der Bewer­ber­zah­len verzeich­net werden.

Wochen­ar­beits­zeit durch Digita­li­sie­rung effizi­ent reduzie­ren

Wie dagegen die 4‑Tage-Woche mit einer effizi­en­ten Reduzie­rung der Wochen­ar­beits­zeit bei vollem Lohnaus­gleich gelin­gen kann, probt seit Anfang des Jahres der Kreis­ver­band des Deutschen Roten Kreuzes in Sangerhau­sen mit einem bisher einma­li­gen Tarif­ver­trag, der zunächst bis Ende 2025 laufen soll. Die Wochen­ar­beits­zeit wurde hier bei vollem Lohnaus­gleich von 40 auf 36 Stunden reduziert und auf 4 Tage à 9 Arbeits­stun­den verteilt.

Dies ist möglich, weil eine zuvor durch­ge­führte interne Studie ergeben hatte, dass die beschäf­ti­gen Pflege­kräfte mehr als ein Drittel ihrer Arbeits­zeit mit Schreib­tisch­ar­beit verbrin­gen mussten. Infol­ge­des­sen wurden verschie­dene Aufga­ben digita­li­siert, was den Pflege­kräf­ten mehr Zeit einräumte und die Einfüh­rung der 4‑Tage-Woche organi­sa­to­risch möglich machte.

Indivi­du­elle Voraus­set­zun­gen und persön­li­ches Empfin­den maßgeb­lich

Dass der Erfolg und die Akzep­tanz der 4‑Tage-Woche in der Pflege letzt­end­lich aber stark von indivi­du­el­len Präfe­ren­zen und auch vom Arbeits­feld abhängt, zeigt die Zwischen­bi­lanz des Klini­kums Siegen nach den ersten zwei Monaten eines Testlaufs, bei dem die bestehende Wochen­ar­beits­zeit von 38,5 Stunden auf 4 Tage umver­teilt wurde: Während auf der neuro­lo­gi­schen Station der Großteil der teilneh­men­den Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter sehr zufrie­den mit dem Modell war, konnten sich in der Anästhe­sie nur 2 von 7 Mitar­bei­tern damit anfreun­den.

Die länge­ren Arbeits­tage wurden hier eher als belas­tend empfun­den.

Vor- und Nachteile der 4‑Tage-Woche in der Pflege

Zusam­men­ge­fasst lassen sich aus den bishe­ri­gen Erfah­run­gen und Erkennt­nis­sen aus diver­sen Pilot­ver­su­chen folgende Vor- und Nachteile der 4‑Tage-Woche in der Pflege ablei­ten:

Vorteile

  • Längere Arbeits­tage bedeu­ten längere Präsenz­zei­ten der Pflege­kräfte, was in länge­ren Übergabe- und Überschnei­dungs­zei­ten resul­tie­ren kann.
  • Längere Präsenz- und Überga­be­zei­ten bedeu­ten mehr Zeit für das Wesent­li­che, also bessere Bewoh­ner- bzw. Patien­ten­ver­sor­gung und höhere Pflege­qua­li­tät.
  • An länge­ren Arbeits­ta­gen bleibt auch mehr Zeit für andere Aufga­ben wie Dokumen­ta­tion und Ausbil­dung.
  • Weniger Überstun­den, pünkt­li­che­rer Feier­abend.
  • Mehr Zufrie­den­heit, da die Zeit für Familie, Freunde und Freizeit besser mit dem Beruf in Einklang gebracht werden kann.
  • Mehr freie Tage am Stück sind möglich, was längere Erholungs- und Entspan­nungs­pha­sen sowohl physisch als auch psychisch möglich macht.
  • Weniger
  • Teilzeit­be­schäf­tigte können Stunden erhöhen und trotz­dem an bestimm­ten Tagen freiha­ben.

Nachteile

  • Die Umstel­lung auf längere Arbeits­tage kann als Belas­tung empfun­den werden. Dies hängt vom indivi­du­el­len Empfin­den und mitun­ter auch von der Station ab, z.B. stres­sige Notauf­nahme vs. eher planbare Geria­trie.
  • Die Dienst­pla­nung wird unter Umstän­den komple­xer und schwie­ri­ger, wenn das 4‑Tage-Modell optio­nal in großen Einrich­tun­gen mit vielen Mitar­bei­ten­den angebo­ten wird.

FAQ

Warum wird die 4‑Tage-Woche in der Pflege disku­tiert?

Als Maßnahme gegen den Fachkräf­te­man­gel soll das Arbeits­zeit­mo­dell die Attrak­ti­vi­tät des Berufs erhöhen und der Mitar­bei­ter­ge­win­nung und Mitar­bei­ter­zu­frie­den­heit dienen.

Was spricht dafür?

Pilot­ver­su­che haben gezeigt, dass die Mitar­bei­ter­zu­frie­den­heit mit einer 4‑Tage-Woche gestei­gert und die Quali­tät der Pflege verbes­sert werden kann. Dieses Bild ist jedoch stark geprägt von indivi­du­el­len Fakto­ren wie dem Arbeits­um­feld und dem persön­li­chen Mitar­bei­ter­be­dürf­nis.

Was spricht dagegen?

Längere Arbeits­tage können den Stress­fak­tor erhöhen, zum Beispiel in der Notauf­nahme. Zudem kann die 4‑Tage-Woche die Dienst­pla­nung schwie­ri­ger machen, etwa wenn das Modell als Option angebo­ten und so nicht einheit­lich, sondern nur von einem Teil der Mitar­bei­ten­den angenom­men wird.

Fazit

In der Debatte um die 4‑Tage-Woche in der Pflege gibt es kein eindeu­ti­ges Schwarz oder Weiß. Viel mehr sind indivi­du­elle Fakto­ren entschei­dend, die von Mensch zu Mensch, aber auch von Arbeits­be­reich zu Arbeits­be­reich variie­ren.

Als Option und Pluspunkt hinsicht­lich flexi­bler und innova­ti­ver Arbeits­zeit­mo­delle kommt die 4‑Tage-Woche der Mitar­bei­ter­ge­win­nung, ‑zufrie­den­heit und ‑bindung aber sicher­lich entge­gen. Eine gute und effizi­ente Umset­zung ist letzt­end­lich eine Frage der Organi­sa­tion.

Hilfs­mit­tel und Lösun­gen, zum Beispiel im Bereich der Digita­li­sie­rung und KI gibt es inzwi­schen jeden­falls genug.

Quellen: Klini­kum Biele­feld, Klini­kum Siegen, Alten­pflege-Online, RP-Online, Süddeut­sche Zeitung, Stutt­gar­ter Nachrich­ten