Wenn es in einem systemrelevanten Bereich wie der Pflege bereits massiv an Fachkräften mangelt und absehbar ist, dass der demografische Wandel das Problem in Zukunft noch verstärken wird, bleibt nur eins: Der Beruf muss attraktiver werden. Für zukünftige Pflegekräfte wie auch für jene, die den Beruf bereits ausüben.
Neben Maßnahmen wie Lohnerhöhungen in der Altenpflege und öffentlichen Pflegeeinrichtungen, dem Pflegeberufegesetz oder der Fachkräfteanwerbung im Ausland steht so mittlerweile auch die Einführung einer 4‑Tage-Woche in der Pflege auf der politischen Agenda.
Zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai rückte die SPD-Gesundheitspolitikerin und Ärztin Cornelia Klisch das Thema erneut in den Fokus. Im Kern geht es dabei um folgende Ziele:
Eine allgemeine Debatte um das Arbeitszeitmodell war bereits im vergangenen Jahr entbrannt, nachdem aus Gewerkschafts- und SPD-Kreisen die Forderungen nach einer 4‑Tage-Woche lauter geworden waren – insbesondere für Berufe, bei denen kein Homeoffice möglich ist.
Kritik kam von Seiten der Arbeitgeber und der CDU, die Wohlstandsverlust und einen „Lohnkostenschock“ befürchtete, wenn bei vollem Lohnausgleich Arbeitszeiten weiter reduziert würden. In der Pflege würde sich dies demnach in höheren Kosten für Pflegebedürftige und Angehörige niederschlagen.
Gestaltungsspielraum bei der 4‑Tage-Woche
Die 4‑Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich muss aber nicht zwangsläufig mit einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit einhergehen und somit einen (rechnerischen) Anstieg des Stundenlohns bedeuten, wie Wolfgang Steiger vom CDU-Wirtschaftsrat seine Ablehnung unter anderem begründete.
Zahlreiche Pilotversuche und Experimente in unterschiedlichen Einrichtungen in ganz Deutschland haben mittlerweile gezeigt, wie vielfältig der Gestaltungsspielraum bei einer 4‑Tage-Woche ist und wie ausschlaggebend individuelle Faktoren dabei sind.
Wochenarbeitszeit umstrukturieren statt reduzieren
Das Klinikum Bielefeld etwa hat in einem Pilotversuch Vollzeitkräften der unfallchirugischen und der geriatrischen Station die Möglichkeit eröffnet, bei einer gleichbleibenden Wochenarbeitszeit die tägliche Arbeitszeit von 7,33 pro Schicht auf 9 Stunden zu erhöhen und so nur 4 Tage pro Woche zu arbeiten.
Diese Umstrukturierung der Arbeitszeit stieß auf so gute Resonanz, dass die Etablierung der 4‑Tage-Woche auf allen Stationen schon vor Ablauf der Testphase beschlossen wurde. Zudem konnte ein Anstieg der Bewerberzahlen verzeichnet werden.
Wochenarbeitszeit durch Digitalisierung effizient reduzieren
Wie dagegen die 4‑Tage-Woche mit einer effizienten Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gelingen kann, probt seit Anfang des Jahres der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes in Sangerhausen mit einem bisher einmaligen Tarifvertrag, der zunächst bis Ende 2025 laufen soll. Die Wochenarbeitszeit wurde hier bei vollem Lohnausgleich von 40 auf 36 Stunden reduziert und auf 4 Tage à 9 Arbeitsstunden verteilt.
Dies ist möglich, weil eine zuvor durchgeführte interne Studie ergeben hatte, dass die beschäftigen Pflegekräfte mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Schreibtischarbeit verbringen mussten. Infolgedessen wurden verschiedene Aufgaben digitalisiert, was den Pflegekräften mehr Zeit einräumte und die Einführung der 4‑Tage-Woche organisatorisch möglich machte.
Individuelle Voraussetzungen und persönliches Empfinden maßgeblich
Dass der Erfolg und die Akzeptanz der 4‑Tage-Woche in der Pflege letztendlich aber stark von individuellen Präferenzen und auch vom Arbeitsfeld abhängt, zeigt die Zwischenbilanz des Klinikums Siegen nach den ersten zwei Monaten eines Testlaufs, bei dem die bestehende Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden auf 4 Tage umverteilt wurde: Während auf der neurologischen Station der Großteil der teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr zufrieden mit dem Modell war, konnten sich in der Anästhesie nur 2 von 7 Mitarbeitern damit anfreunden.
Die längeren Arbeitstage wurden hier eher als belastend empfunden.
Vor- und Nachteile der 4‑Tage-Woche in der Pflege
Zusammengefasst lassen sich aus den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen aus diversen Pilotversuchen folgende Vor- und Nachteile der 4‑Tage-Woche in der Pflege ableiten:
Vorteile
- Längere Arbeitstage bedeuten längere Präsenzzeiten der Pflegekräfte, was in längeren Übergabe- und Überschneidungszeiten resultieren kann.
- Längere Präsenz- und Übergabezeiten bedeuten mehr Zeit für das Wesentliche, also bessere Bewohner- bzw. Patientenversorgung und höhere Pflegequalität.
- An längeren Arbeitstagen bleibt auch mehr Zeit für andere Aufgaben wie Dokumentation und Ausbildung.
- Weniger Überstunden, pünktlicherer Feierabend.
- Mehr Zufriedenheit, da die Zeit für Familie, Freunde und Freizeit besser mit dem Beruf in Einklang gebracht werden kann.
- Mehr freie Tage am Stück sind möglich, was längere Erholungs- und Entspannungsphasen sowohl physisch als auch psychisch möglich macht.
- Weniger
- Teilzeitbeschäftigte können Stunden erhöhen und trotzdem an bestimmten Tagen freihaben.
Nachteile
- Die Umstellung auf längere Arbeitstage kann als Belastung empfunden werden. Dies hängt vom individuellen Empfinden und mitunter auch von der Station ab, z.B. stressige Notaufnahme vs. eher planbare Geriatrie.
- Die Dienstplanung wird unter Umständen komplexer und schwieriger, wenn das 4‑Tage-Modell optional in großen Einrichtungen mit vielen Mitarbeitenden angeboten wird.
FAQ
Warum wird die 4‑Tage-Woche in der Pflege diskutiert?
Als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel soll das Arbeitszeitmodell die Attraktivität des Berufs erhöhen und der Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterzufriedenheit dienen.
Was spricht dafür?
Pilotversuche haben gezeigt, dass die Mitarbeiterzufriedenheit mit einer 4‑Tage-Woche gesteigert und die Qualität der Pflege verbessert werden kann. Dieses Bild ist jedoch stark geprägt von individuellen Faktoren wie dem Arbeitsumfeld und dem persönlichen Mitarbeiterbedürfnis.
Was spricht dagegen?
Längere Arbeitstage können den Stressfaktor erhöhen, zum Beispiel in der Notaufnahme. Zudem kann die 4‑Tage-Woche die Dienstplanung schwieriger machen, etwa wenn das Modell als Option angeboten und so nicht einheitlich, sondern nur von einem Teil der Mitarbeitenden angenommen wird.
Fazit
In der Debatte um die 4‑Tage-Woche in der Pflege gibt es kein eindeutiges Schwarz oder Weiß. Viel mehr sind individuelle Faktoren entscheidend, die von Mensch zu Mensch, aber auch von Arbeitsbereich zu Arbeitsbereich variieren.
Als Option und Pluspunkt hinsichtlich flexibler und innovativer Arbeitszeitmodelle kommt die 4‑Tage-Woche der Mitarbeitergewinnung, ‑zufriedenheit und ‑bindung aber sicherlich entgegen. Eine gute und effiziente Umsetzung ist letztendlich eine Frage der Organisation.
Hilfsmittel und Lösungen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung und KI gibt es inzwischen jedenfalls genug.
Quellen: Klinikum Bielefeld, Klinikum Siegen, Altenpflege-Online, RP-Online, Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Nachrichten
1 Kommentar
Es ist unkorrekt mit der 4 Tageswoche zu werben in der Pflege durch die Bundesregierung. Bei Ausfall nur einer Vollzeitkraft müssen mindestens 2 Teilzeitkräfte deren Dienst auffangen. Zusätzlich wird die Arbeitsbelastung dadurch nicht verändert, im Gegenteil, die Mitarbeiter/innen müssen wegen vermehrter Freizeit der Kollegen/innen viel mehr an Leistung erbringen. Dann kommen Überstunden ins Gespräch, welche natürlich nicht wirklich attraktiv sind, da diese auch versteuert werden müssen. Und diese Diskussion hat natürlich etwas mit dem Arbeitsminister und seiner Partei zu tun.. Geht doch die Finanzierung der Zusatzgehälter alles über die Pflegebedürftigen! Weiss dies überhaupt jemand aus der Pflege? Der Betrug dieser Bundesregierung an den Pflegebedürftigen ist ungeheuer, und niemand nimmt dieses Raubrittertum zur Kenntnis. Zwangsweise werden den Pflegebedürftigen diese Gelder aufgezwungen, und angeblich müssen sie auch bezahlen. Dies ist falsch, denn es handelt sich um Privatgelder der Bürger. Und großartig auch die Erhöhung der Renten zu verkünden, um dann die Gehälter der Pflegenden dadurch zu finanzieren, ist gelinde gesagt ein Verstoss gegen das GG. Die Arbeitszeitverkürzung geht für meint Begriffe dann gegen die zu Pflegenden, denn die Krankenrate wird wegen Verlängerung d Arbeitszeit u damit erhöhre Belastungen noch viel mehr steigen. Aber es gilt ja eigentlich nur um die Wählerstimmen