Im vergangenen Jahr hat der Medizinische Dienst (MD) Bund in seinen Gutachten in 2.679 Fällen ärztliche Behandlungsfehler festgestellt, die nachgewiesenermaßen Ursache für einen Schaden bei Patienten waren. Sobald sich dieses Prüfergebnis einstellt, haben Patientinnen und Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Dies geht aus der Jahresstatistik für 2023 des MD Bund hervor, der seit 2022 Nachfolger des einstigen Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ist.
Insgesamt 12.438 überprüfte Behandlungsfälle
Insgesamt hatte der MD bundesweit 12.438 fachärztliche Gutachten zu von Patienten vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In rund jeder vierten Prüfung (3.160 Fälle) wurde ein Fehler mit Schaden bestätigt. In jedem fünften überprüften Fall war der Behandlungsfehler auch die Ursache für den erlittenen Schaden – nur dann können Patientinnen und Patienten mit Schadensersatz rechnen. Nicht immer ist die Kausalität jedoch klar nachzuweisen.
Die Zahl der MD-Überprüfungen liegt damit geringfügig unter der des Vorjahres – 2022 wurden 13.059 fachärztliche Gutachten erstellt. Auch damals wurde in rund jedem vierten Fall ein Fehler mit Schaden bestätigt, ebenso war in etwa jedem fünften Fall ein Fehler ursächlich für den Schaden. Seit 2016 geht die Zahl der Gutachten allerdings tendenziell zurück; damals hatte es mit über 15.000 Überprüfungen einen Höchststand gegeben.
Orthopädie und Unfallchirurgie bei Prüfungsfällen deutlich vorne
Bei den Prüfungen nach medizinischen Fachgebieten lagen Orthopädie und Unfallchirurgie mit 3.665 begutachteten Fällen (29,5 Prozent des Gesamtaufkommens) deutlich vorne, gefolgt von Innerer Medizin und Allgemeinmedizin (11,5 Prozent), der Zahnmedizin (9,3 Prozent), der Frauenheilkunde/Geburtshilfe sowie der Allgemein- und Viszeralchirurgie (jeweils 9 Prozent). In der Pflege wurden 726 Fälle begutachtet, das macht 5,8 Prozent aus. Die restlichen 26 Prozent des Gesamt-Prüfaufkommens verteilen sich auf 29 weitere Fachgebiete.
Zwei Drittel der überprüften Fälle betrafen den stationären Bereich, meist Krankenhäuser. Beim Rest handelte es sich um ambulante Behandlungsfälle. Bei ebenfalls zwei Dritteln war der Patientenschaden vorübergehender Natur: Eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt waren infolge des zum Schaden führenden Fehlers zwar notwendig, die Patienten sind jedoch vollständig genesen.
Bei einem knappen Drittel (29,7 Prozent) wurde dagegen ein dauerhafter Schaden verursacht. In 75 Fällen (2,8 Prozent) hat der festgestellte ärztliche Fehler sogar zum Tod des Patienten geführt.
Prüftätigkeit ist nur ein kleiner Ausschnitt des Geschehens
Die Daten seien jedoch nicht repräsentativ für das gesamte Aufkommen an Behandlungsfehlern in Deutschland: „Unsere Begutachtungszahlen zeigen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens“, erläutert Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MD Bund.
Von den meisten fehlerhaften Behandlungen erlange der MD Bund keine Kenntnis. In vielen Fällen würden diese etwa über ärztliche Schlichtungsstellen oder direkt über die Versicherer laufen. Einige landeten auch vor Gericht.
„Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt: Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt“, so Gronemeyer. „Demnach sind jedes Jahr 168.000 Patientinnen und Patienten davon betroffen. Die Experten gehen von ca. 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus.“
Forderung nach Meldepflicht für „Never Events“
Laut des MD Bund lagen im Jahr 2023 in 151 Fällen zudem sogenannte „Never Events“ vor (nach 165 im vorherigen Jahr) – also Ereignisse, die sich schlichtweg nicht ereignen dürften und durch Präventionsmaßnahmen sicher verhindert werden könnten. Dazu gehören schwerwiegende Medikationsfehler, unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper im Patienten nach Operationen, oder Verwechslungen von Patientinnen und Patienten, die zu schweren Schäden führen können. Als konkretes Beispiel hierfür nennt der Dienst eine 39-Jährige, die wegen einer Zyste operiert werden sollte, an der jedoch versehentlich eine Sterilisation durchgeführt wurde.
„Um solche Ereignisse zu verhindern, brauchen wir eine Meldepflicht“, fordert Dr. Gronemeyer. Wenn solche Fehler passierten, bestünden Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden müsse, um sie in Zukunft zu vermeiden. Bei der Meldepflicht und der damit verbundenen Prävention von „Never Events“ hinke Deutschland im internationalen Vergleich hinterher – eine Umsetzung durch die Politik für Konzepte zur systematischen Fehlervermeidung stehe nach wie vor aus. Die Meldepflicht könne in pseudo-anonymisierter Form und sanktionsfrei erfolgen, schlägt der Dienst vor.
Tätigkeit des MD für Patienten kostenlos
An den MD können sich Patienten über ihre Krankenkasse wenden, wenn sie einen Verdacht auf einen Behandlungsfehler hegen. Beim Gutachten überprüfen die Sachverständigen, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den der Versicherte erlitten hat, durch den Fehler verursacht worden ist.
Nur dann bestehen Schadensersatzansprüche. Auf der Basis des Gutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Für die Versicherten ist die MD-Tätigkeit kostenfrei.