Behandlungsfehler
Laut Statis­tik des Medizi­ni­schen Diens­tes haben in 75 Fällen ärztli­che Fehler zum Tod eines Patien­ten geführt. Bild: © Katar­zyna Bialasie­wicz | Dreamstime.com

Im vergan­ge­nen Jahr hat der Medizi­ni­sche Dienst (MD) Bund in seinen Gutach­ten in 2.679 Fällen ärztli­che Behand­lungs­feh­ler festge­stellt, die nachge­wie­se­ner­ma­ßen Ursache für einen Schaden bei Patien­ten waren. Sobald sich dieses Prüfergeb­nis einstellt, haben Patien­tin­nen und Patien­ten Aussicht auf Schadens­er­satz. Dies geht aus der Jahres­sta­tis­tik für 2023 des MD Bund hervor, der seit 2022 Nachfol­ger des einsti­gen Medizi­ni­schen Diens­tes der Kranken­kas­sen (MDK) ist.

Insge­samt 12.438 überprüfte Behand­lungs­fälle

Insge­samt hatte der MD bundes­weit 12.438 fachärzt­li­che Gutach­ten zu von Patien­ten vermu­te­ten Behand­lungs­feh­lern erstellt. In rund jeder vierten Prüfung (3.160 Fälle) wurde ein Fehler mit Schaden bestä­tigt. In jedem fünften überprüf­ten Fall war der Behand­lungs­feh­ler auch die Ursache für den erlit­te­nen Schaden – nur dann können Patien­tin­nen und Patien­ten mit Schadens­er­satz rechnen. Nicht immer ist die Kausa­li­tät jedoch klar nachzu­wei­sen.

Die Zahl der MD-Überprü­fun­gen liegt damit gering­fü­gig unter der des Vorjah­res – 2022 wurden 13.059 fachärzt­li­che Gutach­ten erstellt. Auch damals wurde in rund jedem vierten Fall ein Fehler mit Schaden bestä­tigt, ebenso war in etwa jedem fünften Fall ein Fehler ursäch­lich für den Schaden. Seit 2016 geht die Zahl der Gutach­ten aller­dings tenden­zi­ell zurück; damals hatte es mit über 15.000 Überprü­fun­gen einen Höchst­stand gegeben.

Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie bei Prüfungs­fäl­len deutlich vorne

Bei den Prüfun­gen nach medizi­ni­schen Fachge­bie­ten lagen Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie mit 3.665 begut­ach­te­ten Fällen (29,5 Prozent des Gesamt­auf­kom­mens) deutlich vorne, gefolgt von Innerer Medizin und Allge­mein­me­di­zin (11,5 Prozent), der Zahnme­di­zin (9,3 Prozent), der Frauenheilkunde/Geburtshilfe sowie der Allge­mein- und Visze­ral­chir­ur­gie (jeweils 9 Prozent). In der Pflege wurden 726 Fälle begut­ach­tet, das macht 5,8 Prozent aus. Die restli­chen 26 Prozent des Gesamt-Prüfauf­kom­mens vertei­len sich auf 29 weitere Fachge­biete.

Zwei Drittel der überprüf­ten Fälle betra­fen den statio­nä­ren Bereich, meist Kranken­häu­ser. Beim Rest handelte es sich um ambulante Behand­lungs­fälle. Bei ebenfalls zwei Dritteln war der Patien­ten­scha­den vorüber­ge­hen­der Natur: Eine Inter­ven­tion oder ein Kranken­haus­auf­ent­halt waren infolge des zum Schaden führen­den Fehlers zwar notwen­dig, die Patien­ten sind jedoch vollstän­dig genesen.

Bei einem knappen Drittel (29,7 Prozent) wurde dagegen ein dauer­haf­ter Schaden verur­sacht. In 75 Fällen (2,8 Prozent) hat der festge­stellte ärztli­che Fehler sogar zum Tod des Patien­ten geführt.

Prüftä­tig­keit ist nur ein kleiner Ausschnitt des Gesche­hens

Die Daten seien jedoch nicht reprä­sen­ta­tiv für das gesamte Aufkom­men an Behand­lungs­feh­lern in Deutsch­land: „Unsere Begut­ach­tungs­zah­len zeigen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsäch­li­chen Gesche­hens“, erläu­tert Dr. Stefan Grone­meyer, Vorstands­vor­sit­zen­der des MD Bund.

Von den meisten fehler­haf­ten Behand­lun­gen erlange der MD Bund keine Kennt­nis. In vielen Fällen würden diese etwa über ärztli­che Schlich­tungs­stel­len oder direkt über die Versi­che­rer laufen. Einige lande­ten auch vor Gericht.

„Aus wissen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen ist bekannt, dass die Dunkel­zif­fer deutlich höher liegt: Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa einem Prozent aller statio­nä­ren Behand­lun­gen zu Fehlern und vermeid­ba­ren Schäden kommt“, so Grone­meyer. „Demnach sind jedes Jahr 168.000 Patien­tin­nen und Patien­ten davon betrof­fen. Die Exper­ten gehen von ca. 17.000 fehler­be­ding­ten, vermeid­ba­ren Todes­fäl­len aus.“

Forde­rung nach Melde­pflicht für „Never Events“

Laut des MD Bund lagen im Jahr 2023 in 151 Fällen zudem sogenannte „Never Events“ vor (nach 165 im vorhe­ri­gen Jahr) – also Ereig­nisse, die sich schlicht­weg nicht ereig­nen dürften und durch Präven­ti­ons­maß­nah­men sicher verhin­dert werden könnten. Dazu gehören schwer­wie­gende Medika­ti­ons­feh­ler, unbeab­sich­tigt zurück­ge­blie­bene Fremd­kör­per im Patien­ten nach Opera­tio­nen, oder Verwechs­lun­gen von Patien­tin­nen und Patien­ten, die zu schwe­ren Schäden führen können. Als konkre­tes Beispiel hierfür nennt der Dienst eine 39-Jährige, die wegen einer Zyste operiert werden sollte, an der jedoch verse­hent­lich eine Steri­li­sa­tion durch­ge­führt wurde.

„Um solche Ereig­nisse zu verhin­dern, brauchen wir eine Melde­pflicht“, fordert Dr. Grone­meyer. Wenn solche Fehler passier­ten, bestün­den Risiken im Versor­gungs­pro­zess, denen syste­ma­tisch nachge­gan­gen werden müsse, um sie in Zukunft zu vermei­den. Bei der Melde­pflicht und der damit verbun­de­nen Präven­tion von „Never Events“ hinke Deutsch­land im inter­na­tio­na­len Vergleich hinter­her – eine Umset­zung durch die Politik für Konzepte zur syste­ma­ti­schen Fehler­ver­mei­dung stehe nach wie vor aus. Die Melde­pflicht könne in pseudo-anony­mi­sier­ter Form und sankti­ons­frei erfol­gen, schlägt der Dienst vor.

Tätig­keit des MD für Patien­ten kosten­los

An den MD können sich Patien­ten über ihre Kranken­kasse wenden, wenn sie einen Verdacht auf einen Behand­lungs­feh­ler hegen. Beim Gutach­ten überprü­fen die Sachver­stän­di­gen, ob die Behand­lung nach dem anerkann­ten medizi­ni­schen Standard und mit aller Sorgfalt abgelau­fen ist. Liegt ein Behand­lungs­feh­ler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den der Versi­cherte erlit­ten hat, durch den Fehler verur­sacht worden ist.

Nur dann bestehen Schadens­er­satz­an­sprü­che. Auf der Basis des Gutach­tens können die Betrof­fe­nen entschei­den, welche weite­ren Schritte sie unter­neh­men wollen. Für die Versi­cher­ten ist die MD-Tätig­keit kosten­frei.