Vorab: Eine Dauerbeschäftigung über 24 Stunden sprengt den arbeitszeitrechtlichen Rahmen, nach dem die zulässige Höchstarbeitszeit „nur“ 8, respektive 10 Stunden pro Tag betragen darf. Eine 24-Stunden-Schicht ist daher eigentlich undenkbar und tatsächlich illegal.
Dennoch gibt es sie, die 24-Stunden-Pflege. Hierbei versorgen und unterstützen Pflegekräfte im Rahmen der Intensivpflege ältere oder pflegebedürftige Menschen und helfen diesen bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und Alltagsverrichtungen.
Voraussetzung ist, dass es trotz der 24-Stunden-Pflege ausreichend Ruhezeiten gibt, die die Pflegekraft frei und ohne dienstliche Verpflichtungen gestalten kann. Aus diesem Grund müssen sich, rechtlich gesehen, mehrere Pflegekräfte abwechseln und gegenseitig ablösen, sodass die Versorgung der pflegebedürftigen Person rund um die Uhr gesichert und die Pflegekräfte genügend Zeit haben, sich von der Arbeit zu Erholen.
Häufig ausländische Pflegekräfte betroffen
So zumindest die Theorie. In der Praxis ist es jedoch zumeist anders. Häufig werden für die 24-Stunden-Pflege ausländische Pflegekräfte aus Osteuropa von den Pflegediensten entsandt, jedoch häufig alleine. Pflegeexperten schätzen die Zahl der osteuropäischen Pflegekräfte in der 24-Stunden-Pflege auf fast 700.000 Personen. Ohne sie würde die häusliche Dauerpflege zusammenbrechen. Die Arbeitsbedingungen sind jedoch schlecht.
Die Pflegedienste schreiben vor, dass die Pflegekräfte bei der zu pflegenden Person ein Zimmer beziehen dürfen, wo sie sich in ihren Ruhepausen, über deren Entscheidung jedoch oft der zu Pflegende oder dessen Angehöriger verfügt, zurückziehen können, um ihre Akkus neu zu laden. Jedoch stehen die Pflegekräfte in dauerhafter Bereitschaft, um den Pflegebedürftigen auf Kommando zu helfen.
Die gesetzlichen Grenzen und Regelungen der 24-Stunden-Pflege sind recht verschwommen. Es gäbe zwar einige Formalien, die es ermöglichen, eine 24-Stunden-Betreuung legal durchzuführen, nicht zuletzt landen aber auch viele Fälle vor Gericht. So auch in den Fällen zweier osteuropäischer Pflegerinnen.
Zwei Pflegerinnen klagten auf Lohnnachzahlung
Laut der Bulgarischen Pflegekraft Dobrina Alekseva bekommen Frauen aus Osteuropa grundlos weniger Geld, müssen dafür aber häufig viel mehr arbeiten, als ihr Vertrag es voraussetzt. Von 2015 bis 2016 hatte die Bulgarin einer 96-jährige Berlinerin versorgt. Verdient hat sie dabei knapp 1.000 Euro im Monat.
Dobrina Alekseva wohnte bei der Dame, musste für die kochen, einkaufen, putzen, waschen und die Dame stets begleiten und versorgen. Wenn die Dame schrie, auch nachts. Selbst ein kurzer Ausflug aus der Wohnung war undenkbar.
Die Bulgarin verklagte daraufhin ihren Arbeitgeber und setzt sich seitdem dafür ein, dass Osteuropäerinnen in Deutschland gleichberechtigt entlohnt werden. Laut den Angaben des Gerichts habe die Pflegerin ganze 21 Stunden pro Tag gearbeitet. Der Arbeitgeber wurde zur Lohnnachzahlung der geleisteten Überstunden verurteilt. Die Rechtsdepesche hatte das Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bereits aufgegriffen. Der Fall wandert jedoch jetzt vor das Bundesverfassungsgericht, welches noch im Juni über den Ausgang entscheiden will. Ein Urteil pro Alekseva könnte die 24-Stunden-Pflege in Deutschland gehörig verändern.
Auch Daniela Pancu aus Rumänien war in einer ähnlichen Situation. Sie pflegte eine bayrische Frau bis zu ihrem Tod. Statt mit zwei oder drei Mitarbeitern war sie jedoch rund um die Uhr alleine bei der Dame und bekam hierfür 1.800 Euro pro Monat – allerdings für nur 6 Stunden pro Tag. Ein Feierabend war bei der ständigen täglichen und nächtlichen Bereitschaft undenkbar. Der Pflegedienstleiter bestreitet die Mehrarbeit der Pflegerin jedoch, diese zieht nun ebenfalls vor das Gericht (Arbeitsgericht München).
Arbeitsbereitschaft gleich Arbeitszeit!
Diese beiden Fälle zeigen einmal mehr, dass der Begriff Bereitschaftsdienst nicht jedem Arbeitgeber in der Pflege geläufig ist. Laut der Rechtssprechung gilt der Bereitschaftsdienst als reguläre Arbeitszeit (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000, C‑303/98), übrigens auch dann, wenn der Arbeitnehmer währenddessen schläft. Bereitschfaftsdienst wird häufig dann angeordnet, wenn im Vorfeld bereits abzusehen ist, dass die Zeit ohne aktive Arbeit überwiegen wird, beispielsweise bei Nachtschichten.
Die beiden osteuropäischen Pflegekräfte hingegen verbrachten ihre Arbeitstage nahezu komplett in der Wohnung der Patienten und standen in ständiger Arbeitsbereitschaft. Arbeitsbereitschaft beschreibt den Zustand wacher Entspannung, von der aus die Arbeitskraft auf Abruf jederzeit ihren Dienst aufnehmen kann. So auch die beiden osteuropäischen Pflegerinnen.
Damit unterscheiden sich die beiden Begriffe von der Pause, die als Ruhephase während den Dienstschichten fungiert und vom Arbeitnehmer frei nach Ort und Aktivität bestimmt werden dürfen. Das bedeutet, der Arbeitnehmer darf während dieser Zeit seinen Arbeitsplatz verlassen und tun, wonach ihm zuliebe ist. Wird während der Pause Arbeit angeordnet, gilt die Pause als nicht genommen und darf rechtlich gesehen von vorne begonnen werden.
Dementsprechend wird eine Pause auch nicht bezahlt. Im Gegensatz zur Arbeitsbereitschaft. Hierbei macht die Pflegekraft keine Ruhepause, da sie a) in dieser Zeit durchgehend erreichbar sein muss und sich b) für anfallende Arbeit bereit hält. Die beiden Pflegerinnen aus Osteuropa hätten demnach auch für die Stunden, die sie während der 24-Stunden-Pflege in Bereitschaft bei ihren zu pflegenden Damen verbrachten, angemessen bezahlt werden müssen. Der Ausgang der beiden Gerichtsverhandlungen bleibt daher mit Spannung abzuwarten.