Ein heikler Fall geht in die Berufung vor dem OLG Frankfurt/Main: Die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ist eigentlich Routine für Pflegepersonal – in diesem Fall endete sie jedoch fatal.
Ein im Dezember 2011 noch nicht einmal zweijährige Junge wurde wegen einer obstruktiven Bronchitis, einer drohenden respiratorischen Insuffizienz und eines Verdachts auf Bronchopneumonie und fieberhaften Infekt stationär eingewiesen. Er erhielt dort eine intravenöse antibiotische Therapie, so auch am Tag des Vorfalls.
Als die Krankenschwester zur Therapie in das Krankenzimmer eintrat, habe das Kind gerade offensichtlich Äpfel und Chips gegessen. Seine Mutter bat die Krankenschwester darum, ihn vor der Injektion zunächst aufessen zu lassen.
Die Krankenschwester kam diesem Wunsch jedoch nicht nach und verabreichte dem Jungen sofort ein intravenöses Antibiotikum und spülte mit einer Kochsalzlösung nach. Dabei schrie der Kläger so stark, dass er sich an seinem Essen verschluckte. Er begann, heftig zu husten und blau anzulaufen.
Die Krankenschwester nahm das Kind daraufhin hoch und schüttelte es kopfüber nach oben und nach unten, in der Hoffnung, das Essen wieder aus dem Körper zu bekommen. Weil dies nicht gelang, musste der Kleine am Ende sogar reanimiert werden. Auf der Kinderintensivstation wurden einen Tag später in einer Bronchoskopie mehrere Essensreste aus den Bronchien des Kindes entfernt.
Drei weitere Tage danach ergab eine Kernspintomografie dann die Diagnose: Hypoxischer Hirnschaden. Beim Kläger sei es zu Schluckstörungen gekommen, infolgedessen er eine transkutane Magensonde zur weiteren Ernährung erhalten habe. Gut eine Woche später wurde der Junge aus der Klinik entlassen.
Kläger lebenslang geschädigt
Die Tragik des Falls begründe nach Angaben des Gerichts die Höhe des Schadensersatzes. Der geschädigte Junge war zum Zeitpunkt des Vorfalls noch keine zwei Jahre alt und wurde in noch sehr jungem Alter bereits eines normalen Menschenlebens beraubt.
Infolge mehrerer Behandlungsfehler durch die Krankenschwester leidet der Kläger an einem hypoxischen Hirnschaden, an infantiler Zerebralparese, Epilepsie, Tetraspastik, einer Hüftluxation, Schluckstörungen, einer Sehbeeinträchtigung und Intelligenzminderung.
Er kann weder richtig sprechen, noch laufen und wird sein restliches Leben überwiegend in Kliniken, Reha-Einrichtungen und in therapeutischer Behandlung verbringen müssen.
Der Kläger erhob Klage und beantragte ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 500.000 Euro sowie die Übernahme vergangener und künftiger materieller und immaterieller Schäden, die infolge der Behandlungsfehler entstanden sind oder noch entstehen können. Das LG Limburg sah diese Summe noch nicht als ausreichend an und sprach im Urteil eine Schadensersatzzahlung in Höhe von einer Million Euro. Hier das erstinstanzliche Urteil des LG Limburg vom 28.6.2021 (1 O 45/15) .
Mehrere Behandlungsfehler durch Krankenschwester
Unstrittig ursächlich für die Schäden des Klägers waren zum einen die zu frühe Verabreichung der Antibiose und zum anderen das Schütteln des Kindes durch die Krankenschwester, nachdem es sich verschluckte und keine Luft mehr bekam. Die Krankenschwester handelte hierbei sowohl rechtswidrig als auch fahrlässig im Sinne von § 276 Absatz 2 BGB, da sie beide Fehler hätte erkennen bzw. vermeiden müssen.
Sie hätte mit der Therapie noch ein paar Minuten warten müssen, bis der Kläger die Nahrung vollständig verzehrt habe. Des Weiteren wurden keine adäquaten Erste Hilfe-Maßnahmen ergriffen, als das Kind aufhörte zu atmen. Das Kind kopfüber hochzuheben und zu schütteln fällt definitiv nicht darunter.
Zugunsten der Krankenschwester wurde jedoch berücksichtigt, dass der Schaden innerhalb eines Routinevorgangs entstanden ist, der regelmäßig auch anderen Krankenschwestern hätte passieren können. Es handele sich daher „nur“ um ein leichtes fahrlässiges Verhalten.
Das Gericht geht zudem davon aus, dass die Krankenschwester nicht vorsätzlich gehandelt habe, sondern die Fehler im Zuge ihrer Überforderungsreaktion passierten. Als Mutter und Kinderkrankenschwester habe sie den Fall sehr bedauert und sei auch betroffen.
Berufung: Einrichtung und Belegärztin ebenfalls schuldig?
Die eine Million Euro Schadensersatz liegen allerdings nicht nur auf den Schultern der Krankenschwester, sondern verteilen sich auf drei Akteure. Neben ihr wurden auch die zuständige Einrichtung, sowie eine diensthabende Belegärztin durch das LG Limburg verurteilt. Wird es nach der Berufung bei diesem harten Urteil bleiben?
Rechtsanwalt Cornelius Maria Thora, Vertreter des Krankenhausträgers, sagte zu seinen Erwartungen: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu laufenden Verfahren grundsätzlich nicht äußern möchten. Ungeachtet dessen möchte ich aber darauf hinweisen, dass deutsche Gerichte auch in Fällen schwerster Schädigung bislang niemals ein Schmerzensgeld in der vom Landgericht Limburg ausgeurteilten Höhe zugesprochen haben.“
Zwischen den Zeilen kann man also bereits erahnen, dass es womöglich nicht bei dieser hohen Schadensersatzsumme bleibt.
Quelle: OLG Frankfurt