Rettungswagen
Ein Rettungs­wa­gen im Einsatz (Symbol­bild) Bild: © Tobias Arhel­ger | Dreamstime.com

Rettungs­wa­gen überholte Auto

Ein Rettungs­wa­gen fährt mit über 75 km/h auf eine Kreuzung zu und überholt dabei links ein Auto. Das Martins­horn wurde 7,11 Sekun­den und 127,7 Meter zuvor einge­schal­tet.

Der Fahrer des überhol­ten Autos hat die Warnsi­gnale jedoch nicht bemerkt und ist beim Links­ab­bie­gen mit dem Rettungs­wa­gen zusam­men­ge­sto­ßen.

Vor Gericht klagt die Frau des Fahrers – ihr gehört das Auto – gegen die Fahre­rin des Rettungs­wa­gens. Die Kläge­rin fordert Schadens­er­satz auf einer Haftungs­quote von 75 Prozent für die materi­el­len Unfall­schä­den am Auto.

Außer­dem fordert sie Schadens­er­satz für die immate­ri­el­len Schäden ihres Ehemanns. Er hatte bei dem Unfall eine Gehirn­er­schüt­te­rung und ein Schleu­der­trauma im Bereich der Halswir­bel­säule erlit­ten.

Auto-Fahrer wollte nur Platz machen

Das Landge­richt Kiel hatte die Klage zunächst abgewie­sen. Es konnte nicht bewie­sen werden, dass die Fahre­rin des Rettungs­wa­gens ihre Sonder­rechte im Straßen­ver­kehr missach­tet hätte. Ansprü­che aus Amtshaf­tung (§ 839 BGB, Artikel 34 GG) bestün­den nicht.

Die Fahre­rin habe recht­zei­tig Blaulicht und Martins­horn einge­setzt, um auf sich aufmerk­sam zu machen. Sie habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass sich alle Verkehrs­teil­neh­men­den auf den nahen­den Rettungs­wa­gen einstel­len können.

Gegen diese Entschei­dung wehrte sich die Kläge­rin mit einer Berufung. Ihrer Ansicht nach dürfe die Fahre­rin des Rettungs­wa­gens ihre Sonder­rechte nur dann ausüben, wenn die öffent­li­che Sicher­heit und Ordnung ausrei­chend berück­sich­tigt wird.

Das sei bei einer Überschrei­tung der vorge­ge­be­nen Geschwin­dig­keit um das 2,5‑fache nicht gegeben, so die Kläge­rin. Ihr Mann sei es deshalb bemüht gewesen recht­zei­tig auszu­wei­chen. Er wollte durch das Einsche­ren auf die Linke Spur den Weg frei machen.

Auto oder Rettungs­wa­gen? Die Schuld ist klar!

Doch auch die Berufung wurde vom Gericht abgelehnt. Eine Amtspflicht­ver­let­zung liegt nicht vor. Die Verstöße der RTW-Fahre­rin, wie die hohe Geschwin­dig­keit und das Überho­len des PKWs trotz Abbie­ge­an­zeige, sind nach § 35 Absatz 5a StVO gerecht­fer­tigt.

Demnach sind Fahrzeuge des Rettungs­diens­tes von den Vorschrif­ten der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschen­le­ben zu retten oder schwere gesund­heit­li­che Schäden abzuwen­den.

Die Fahre­rin des Rettungs­wa­gens konnte durch Vorlage des Einsatz­pro­to­kol­les und Angabe des Einsatz­grun­des belegen, dass es sich bei der Fahrt um einen Notfall handelte.

Auch ein Verstoß gegen § 35 Absatz 8 StVO liegt demnach nicht vor. Danach dürfen Sonder­rechte nur unter Berück­sich­ti­gung der öffent­li­chen Sicher­heit und Ordnung ausge­übt werden.

Die im Vergleich zur angeord­ne­ten Geschwin­dig­keit von 30 km/h überhöhte Geschwin­dig­keit von 75 km/h begrün­det keinen Verstoß. Es handelte sich bei der Unfall­stelle nämlich um eine gut überseh­bare Haupt­straße.

Beson­ders ist an dieser Stelle zu berück­sich­ti­gen, dass der Fahrer des PKWs sich als Links­ab­bie­ger ohnehin vorher durch Schul­ter­blick über den rückwär­ti­gen Verkehr hätte versi­chern müssen. Die doppelte Rückschau­pflicht ist in § 9 Absatz 1 Satz 4 StVO geregelt.

Fahrer hätte Rettungs­wa­gen bemer­ken müssen

Das bedeu­tet, selbst wenn er Martins­horn und Blaulicht nicht bemerkt hätte, dann hätte ihm durch den Schul­ter­blick der nahende Rettungs­wa­gen auffal­len müssen.

Vielmehr hat der Fahrer des PKW gegen gelten­des Recht versto­ßen (§ 38 Absatz 1 StVO) in dem er nicht freie Bahn gemacht hat.

Das Gericht folgt den Angaben der Kläge­rin nicht, nach der ihr Mann durch das Links­ab­bie­gen versucht hatte, den Weg freizu­ma­chen.

Die Gegen­spur – die vom Rettungs­wa­gen genutzt wurde – war nämlich unstrei­tig frei, weshalb das Links­ab­bie­gen gar nicht nötig gewesen wäre, um Platz zu schaf­fen.

Im Zweifel hätte der Fahrer stehen­blei­ben müssen, sofern kein Platz war nach rechts abzubie­gen.

Fazit

Das Gericht wies die Klage ab. Die Fahre­rin des Rettungs­wa­gens hatte ihre Sonder­rechte korrekt ausge­übt. Die überhöhte Geschwin­dig­keit und das Überho­len wurden durch den dringen­den Notfall­ein­satz gerecht­fer­tigt. Schuld trägt der Fahrer des überhol­ten PKW, der seine doppelte Rückschau­pflicht aus § 38 Absatz 1 StVO verletzte.

Sonder­rechte für Rettungs­wa­gen dürfen nur unter gebüh­ren­der Berück­sich­ti­gung der öffent­li­chen Sicher­heit und Ordnung ausge­übt werden. Je mehr sich der Einsatz­fah­rer über allge­meine Verkehrs­re­geln hinweg­setzt und dadurch die Unfall­ge­fah­ren erhöht, desto größer ist die ihm oblie­gende Sorfalts­pflicht.

Quelle: OLG Schles­wig-Holstein vom 4.1.2024 – 7 U 141/23